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Familie hat viele Gesichter. Nicht alle sind schön.

Am 15. Mai 1993 wurde von den vereinten Nationen der Internationale Tag der Familie ausgerufen, der seither jährlich begangen wird. Ziemlich sicher hatte man damals noch einen sehr heteronormativen Blick auf das Idealbild einer bürgerlichen Kleinfamilie.

Eine Frau und ein Mann bekommen Kinder und leben im Idealfall bis ans Lebensende glücklich miteinander. Doch was haben wir heute, 30 Jähre später, für Bilder vor Augen, wenn wir abseits vom rein rechtlichen Konstrukt an Familie denken? 2023 darf Familie vielfältiger und bunter sein. Familie kann vieles sein, Mann – Frau, Frau – Frau, Mann – Mann, mit Kind oder ohne Kind. Sie kann jede Form des Zusammenlebens sein, in der man sich geborgen fühlt, sich gegenseitig unterstützt, fördert und liebt. Familie kann ein Ort sein, der Resilienz von Kindern entwickelt und fördert. Kinder brauchen nämlich positive Bezugspersonen, die ihnen Sicherheit und Zuverlässigkeit vermitteln.

Und doch wissen wir aus unserer täglichen Arbeit, dass Familie auch ein Ort sein kann, in dem vielfältige Formen von Gewalt an der Tagesordnung stehen.

Verändertes Anzeigeverhalten

2022 wurden österreichweit 14.643 Betretungs- und Annäherungsverbote durch die Polizei ausgesprochen, das sind um rund 1.000 mehr als im Jahr 2021. Dieser Anstieg ist nicht zuletzt auf eine Sensibilisierung der Bevölkerung zurückzuführen. Gewalt im sozialen Nahbereich wird immer weniger als Kavaliersdelikt gesehen. Gewaltbetroffene Personen aber auch Nachbar:innen etc. rufen glücklicherweise rascher die Polizei, wenn sie Gewalt mitbekommen.

Traumatisierte Kinder

Gewalt in Paarbeziehungen hat leider auch massive Auswirkungen auf Kinder, die im gemeinsamen Haushalt leben. Kinder sind betroffen, indem sie Auseinandersetzungen zwischen Eltern mithören oder sogar im selben Raum anwesend sind, Drohungen, Tätlichkeiten, bis hin zu schwerer körperlicher und sexueller Gewalt, miterleben, direkt in Gewalthandlungen involviert sind, versuchen, das Opfer zu schützen oder die gewalttätige Bezugsperson zu stoppen oder auch einen Elternteil verletzt sehen, dessen Verzweiflung wahrnehmen, polizeiliche Interventionen miterleben oder aus der Wohnung flüchten müssen.

Untersuchungen zeigen, dass die Mehrheit der Kinder, die Gewalt in Paarbeziehungen miterleben, ein oder mehrere Anzeichen posttraumatischer Belastungsstörungen wie z.B. Wutausbrüche, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen zeigen. Bei ca. einem Viertel dieser Kinder bildet sich eine posttraumatische Belastungsstörung aus.

Außerdem haben solche Gewalterlebnisse Auswirkungen auf die eigene Beziehungsgestaltung. Kinder, die Gewalt unter Eltern oder wichtigen Bezugspersonen miterlebt haben, haben oftmals geringere Fähigkeiten, eigene Gefühle wahrzunehmen und zu regulieren. Sie entwickeln weniger Konfliktlösungsstrategien und haben ein erhöhtes Risiko, selbst Gewalt auszuüben. Das Problem ist auch, dass Kinder, oftmals aus Scham, mit niemandem über die Gewalt zu Hause sprechen bzw. mangels geeigneter Ansprechpersonen sprechen können.

Das Thema häusliche Gewalt ist in den letzten Jahren ein zentraler Schwerpunkt bei NEUSTART geworden. Immer wichtiger wird es auch, die von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder in unsere Überlegungen miteinzubeziehen. Dafür braucht es eine intensive Kooperation zwischen Opferschutz-, Kinderschutz- und Täterarbeitseinrichtungen. Aus diesem Grund ist NEUSTART auch Gründungsmitglied des Dachverbands vernetzte Opferschutz- und opferschutzorientierte Täterarbeit Austria.

Doch das Wichtigste ist nach wie vor, dass jede und jeder von uns, wenn im Umfeld häusliche Gewalt wahrgenommen wird, nicht wegschaut, sondern eingreift, Unterstützung anbietet und im Notfall auch die Polizei verständigt.

Über die/den Autor:in

In der Leitung Sozialarbeit zuständig für Bewährungshilfe, Haftentlassenenhilfe und Sozialnetzkonferenz.
Er vertritt NEUSTART auch im Vorstand des Dachverbands vernetzte Opferschutz- und opferschutzorientierte Täterarbeit (DV-OTA).

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