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Drei Fragen an… einen Konfliktregler

„Brücken können nur von beiden Seiten gebaut werden“: Georg Wieländer ist seit 25 Jahren Konfliktregler bei NEUSTART. Er hat, anlässlich des Welttags der Mediation (18. Juni), mit uns darüber gesprochen, warum die Mediation so bemerkenswert ist und wie sich sein Zugang im Tatausgleich von einem „gewöhnlichen“ Klient:innen-Gespräch – etwa in der Bewährungshilfe – unterscheidet.

Was ist für dich so bemerkenswert an der Mediation? Was kann man damit, im Vergleich zu einem „gewöhnlichen“ Klient:innen-Gespräch erwirken?
Mich fasziniert die Mediation schon seit ich als Konfliktregler zu arbeiten begonnen habe. Als Mediator muss ich auf das disziplinierte Einnehmen einer Haltung von Allparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit und die Klarheit des Settings achtgeben, um nicht in das „Dramadreieck“ des Konfliktes hineingezogen zu werden. Konflikttransformation passiert nicht automatisch, sondern bedarf einer fundierten methodischen Vorgangsweise. Es klingt vielleicht paradox, aber die eigentliche Wirkung der Mediation liegt nicht darin, ein bestimmtes, vordefiniertes Lösungsziel anzustreben, sondern beide Konfliktparteien zu ermutigen, ihre eigenen, selbstverantworteten, Lösungswege zu finden. Ich gehe immer davon aus, dass die Mediand:innen selbst über Fähigkeiten und Ressourcen verfügen, die zur Lösung ihrer Probleme hilfreich sind und dass diese eingeschlafenen Ressourcen wiederbelebt werden können.

Oft überrascht mich, dass auch noch so harmlos beginnende Konflikte die Eigenschaft entwickeln, hoch zu eskalieren. Die Positionen drohen immer mehr einzufrieren und zu erstarren. Spätestens dann wird das Hinzuziehen einer unabhängigen Drittpartei benötigt, weil es nur aus der Position der Mitte gelingen kann, die erstarrten Kommunikationskanäle wieder zu verflüssigen.

Im Verein NEUSTART arbeite ich als Mediator im Tatausgleich nach den Prinzipien der Strafrechtsmediation im Sinne der Restorative Justice. Alle Konflikte, die uns durch die Staatsanwaltschaft zugewiesen werden, gelten als hocheskalierte Konflikte, da sie nur durch die Intervention der Polizei unterbrochen werden konnten. Mir begegnen Konflikte zwischen Nachbar:innen, Konflikte durch gewaltvolle Eskalationen in Partnerschaften und der Familie, aber auch Konflikte im öffentlichen Bereich wie im Straßenverkehr, in Einkaufstätten oder in Gaststätten, Konflikte in der Schule und am Arbeitsplatz. Durch das Angebot der Staatsanwaltschaft, statt einer Gerichtsverhandlung eine Mediation anzustreben, erhalten die Konfliktparteien eine zweite Chance, ihren Konflikt autonom und ohne Machteingriff von außen zu lösen. Das geschieht, nach unserer Einladung zum Tatausgleich, auf freiwilliger Basis. Beschuldigte und Opfer können sich auch gegen dieses Angebot entscheiden.
Im Gegensatz zu einem langwierigen Gerichtsverfahren, besteht der Vorteil der Mediation im Strafrecht darin, dass ich als Mediator im Tatausgleich wesentlich intensiver auf die Interessen und Bedürfnisse der Konfliktparteien eingehen kann. Der Bearbeitungsprozess im Tatausgleich erstreckt sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Ich beginne mit prämediativen, gesonderten Klärungsgesprächen mit den einzelnen Konfliktparteien und ermutige beide Parteien zur Durchführung eines gemeinsamen Ausgleichsgespräches, wenn dies auch von ihnen gewünscht wird. Mediatorisches Ziel bleibt immer, das beste Ergebnis für beide Parteien zu erreichen, eine Win-Win-Situation für Beschuldigte und für Opfer zu ermöglichen.
Die Wiedergutmachung für das geschehene Unrecht bildet das Herzstück eines gelungenen Tatausgleichs. Eine persönlich ausgesprochene Entschuldigung kann, im besten Fall in einem Gesprächskontext „Face-to-Face“, eine ganz andere Wirkung entwickeln, als wenn sie nur von Dritten weitergeleitet wird. Die Ergebnisse werden in einer abschließenden, schriftlichen Vereinbarung festgehalten und die Einhaltung wird von mir bis zu ihrer Erfüllung begleitet. Voraussetzung für das Gelingen des Tatausgleichs ist eine eindeutige Verantwortungsübernahme für das der Anzeige zu Grunde liegende Fehlverhalten. Ohne diese Klarheit ist der Schritt zum Mediations-Tisch nicht möglich. Bei offensichtlichem Machtungleichgewicht, ist es fallweise aber auch notwendig, andere Wege der Konfliktlösung zu suchen. Nicht jeder Konflikt lässt sich durch Mediation lösen!

 

Wie legst du deine Rolle als Mediator:in an? Was ist dein Selbstverständnis als Konfliktregler:in im Tatausgleich?
Ich sehe mich als Konfliktregler, wie die Mediator:innen in der StPO genannt werden, in erster Linie als „Facilitator“, als Ermöglicher, der Räume für Dialoge öffnet und nicht mit vorgefertigten Ratschlägen zur Konfliktbereinigung in seine Gespräche steigt. Dies gelingt mir in der Rolle eines Prozess- oder Dialogbegleiters, der Menschen darin unterstützt, ihre eigenen Grundannahmen, Überzeugungen und Werte zu verstehen und zur Sprache zu bringen. 

Ich verstehe mich als Geburtshelfer für neue Blickwinkel auf die Konfliktentstehung und mögliche Lösungsansätze. 

Bei Störungen des Kommunikationsprozesses, erinnere ich die Konfliktparteien an die zu Beginn vereinbarten Spielregeln. Ich bringe den Menschen, die zu mir kommen, Verständnis für ihre Situation entgegen, versuche mich in sie hineinzuversetzen und hole sie dort ab, wo sie gerade stehen. Eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre ist dafür wichtig. Auch nach vielen Jahren an Routine möchte ich neugierig bleiben für all die Geschichten, die mir die Mediand:innen zu erzählen haben. Mein Ziel ist, im Mediationsprozess einen fairen Aushandlungsprozess zu begleiten und darauf zu achten, dass keine:r der beiden Konfliktpartner:innen ihr:sein „Gesicht verliert“.

Es gehört auch zur Konfliktregelung, dass es selbstverständlich immer mehrere verschiedene „Wahrheiten“ nebeneinander geben darf. Die Forderung nach der „absoluten Wahrheit“ füllt so manches Mediationsgespräch… Zuerst gilt es auf jeden Fall immer, herauszufinden, wer von den an der jeweiligen Situation Beteiligten was von wem will, welche Aufträge, verdeckten Wünsche oder Beschwerden von welcher Seite geäußert werden, um den Konflikt in seiner Dynamik zu verstehen. Was sind die verdeckten Interessen, die unerfüllten Grundbedürfnisse, die noch nicht auf den Tisch gelegt worden sind? Ich lehne aber ganz klar ab, in die Rolle des Richters oder des Schiedsrichters zu schlüpfen, um in der Mediation eine, wie auch immer erhoffte, „Wahrheitsfindung“ zu betreiben. Ich begebe mich stattdessen mit beiden Mediand:innen auf die Suche nach der Schnittmenge ihrer Wirklichkeitskonstruktionen. Um der Gefahr zu entgehen, meine neutrale Vermittlerposition zu verlassen, hat sich in vielen Fällen bewährt, in Co-Mediation mit einer:m zweiten Mediator:in zusammen zu arbeiten.

Wenn es in meinen Gesprächen um die Schilderungen von Gewalttaten geht, kann ich, trotz meiner Bemühungen um eine neutrale, allparteiliche Haltung, nicht völlig unbeteiligt bleiben. Als Mediator muss ich auch nicht die Ansichten meiner Mediand:innen teilen oder gutheißen. Die Parole: „Ächte die Tat, aber achte die:den Täter:in“ dient mir hier als Leitsatz. Ich muss mich auch selbst – in Teambesprechungen oder Supervision – immer wieder kritisch mit meinen Vorurteilen und Ängsten, auseinandersetzen, so dass sie mir in meiner Rolle als Mediator nicht im Wege stehen.

Letztlich geht es mir darum, den Mediand:innen die Chance zu einem Perspektivenwechsel zu ermöglichen. Der kann aber erst gelingen, wenn die Beteiligten mindestens eine Runde in den „Mokassins“ der anderen Konfliktpartei gegangen sind. Meine Aufgabe in den Gesprächen sehe ich darin, beide immer wieder zu solchen Ausflügen einzuladen.

 

Wie unterscheidet sich die Arbeit, wie unterscheidet sich deine Haltung als Mediator:in im Tatausgleich im Vergleich zur Betreuungsarbeit?
Als Sozialarbeiter blicke ich auch auf eine 15-jährige Betreuungstätigkeit als Bewährungshelfer zurück. Bei meinem Wechsel zur Konfliktregelung musste ich damals erkennen, dass ich Altbewährtes und wohl Vertrautes aus der Betreuungsarbeit wieder „verlernen“ muss, um fit zu werden für die methodischen Herausforderungen der Mediation.

Was die sozialarbeiterische Betreuungsarbeit auf den ersten Blick viel stressfreier erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass ich mich in der Bewährungshilfe lediglich auf eine einzige Person konzentrieren muss. Es gibt im Dialog dieser Betreuung nur zwei unterschiedliche Standpunkte. Wenn es passend erscheint, ist es mir auch gestattet, eine eindeutig parteiliche Haltung einzunehmen, mich gegebenenfalls voll Empathie auf die Seite des:r Klient:in zu stellen. Das schafft Vertrauen und ermöglicht eine gute Zusammenarbeit. Natürlich komme ich aber auch in der Betreuungsarbeit immer wieder in die Haltung eines Vermittlers, wenn es darum geht, tragbare Kompromisse für meine Klient:in auszuhandeln. Der Rahmen der Bewährungshilfe wird durch den richterlichen Auftrag zur Kriminalitätsprävention definiert. Neben dem Verständnis der Sozialarbeiter:in für die Ursachen und Hintergründe der Konfliktentstehung ist es angebracht, als Dialogpartner:in den Kontrapart einzunehmen, um die:den Klient:in mit „harten Realitäten“ zu konfrontieren und Konsequenzen aufzuzeigen.

Der zweite Unterschied liegt in der zur Verfügung stehenden Zeit für die jeweilige Bearbeitung von Problemen und Konflikten. Eine mehrjährige Betreuungszeit bietet Möglichkeiten zur Priorierung von Zielen und zur Planung ihrer Bearbeitung über einen längeren Zeitraum. Ich kann dabei auch immer wieder meine professionellen Lösungsvorschläge einbringen, um die:den Klient:in dabei zu unterstützen, mit Konflikten besser umgehen zu können.

Im Gegensatz dazu, gestalten sich die Gesprächskontexte in der Mediation wesentlich komplexer, weil mindestens drei Personen an der Kommunikation teilnehmen. Diese Ausgangssituation verpflichtet mich zu Haltung einer Äquidistanz und Neutralität zu allen anwesenden Konfliktparteien. Ich brauche in solchen Gesprächen andere Kommunikations- und Interventionstechniken. Ich versuche die Hinwendung und Empathie zu allen Parteien, was sich meist als schwieriges Unterfangen darstellt. Die zeitliche Bearbeitungsdauer im Tatausgleich ist auch wesentlich kürzer als bei der üblichen Betreuung. Eine Fülle an wichtigen Informationen muss in komprimierter Form im ersten Klärungsgespräch untergebracht werden. Innerhalb von drei Monaten sollten drei bis fünf Gespräche zu einer Lösung des Konfliktes führen, was nicht immer in dieser Zeit machbar ist.

Im Tatausgleich ist es meine Intention, beide Seiten zu „empowern“, ihre Wünsche und ihre Bedürfnisse für einen zukünftigen sozialen Frieden auszusprechen und auf den sprichwörtlichen Tisch zu legen. Als Mediator sehe ich mich als Wegbegleiter auf diesem Friedensweg. 

Durch meine Arbeit möchte ich Menschen dabei unterstützen, abgebrochene Brücken neu aufzubauen. Denn wie heißt es so schön: Brücken können nur von beiden Seiten gebaut werden.

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