„100 Prozent für mein Leben“

Vier Anläufe hat Wladislaw I. benötigt – die ersten drei sind gescheitert. Als er dann wusste, wohin die Reise gehen soll, hat er alles gegeben, um zum Ziel zu gelangen. Jetzt ist er angekommen. Der Weg, sein Leben, geht weiter – nur schöner.

In Wladislaw I.s Leben gibt es ein Vorher und ein Nachher und Wladislaw kann nicht nur auf den Tag genau sagen, wann das Nachher begonnen hat, er weiß sogar die Uhrzeit. „Mein letzter Konsum war am 18. September 2022 um zehn Uhr“, sagt er. Mit diesem Zeitpunkt endet eine Phase, die vor allem von einem geprägt war: Sucht. Begonnen hat es mit Alkohol und Marihuana, da war er gerade in der Pubertät. „Ich konnte den Alkohol nicht leiden“, erinnert er sich. „Als 15-Jähriger habe ich mein Bier manchmal heimlich ausgeleert und den anderen vorgespielt, ich wäre betrunken.“ Alles nur, um dazuzugehören.

Keine Freunde, kein Anschluss

Wladislaw kam mit zwölf Jahren nach Österreich, sprach kein Deutsch und hatte keine Freunde. „Aber du brauchst Anschluss als junger Mensch“, sagt er heute im feinsten Hochdeutsch – nur manchmal, wenn er in seiner Erzählung emotional wird, bekommt man seinen ebenfalls feinen oberösterreichischen Dialekt zu hören.

Die ersten Freunde die er fand, legten mehr Wert auf Alkohol und Drogen als auf Schule und Lehre. Man trank mehr als einen über den Durst und beim Greißler ließ man einen Kaugummi und eine Dose Bier mitgehen. Bis dahin ähnelt die Geschichte Wladislaws jener von zahlreichen Jugendlichen. Doch für ihn war es der Ausgangspunkt jener Achterbahnfahrt, der sein Leben über 25 Jahre lang gleichen sollte – mit mehr Tiefen als Höhen.

Sucht und Kriminalität

Aus einem Kaugummi wurden zwei, aus einer Bierdose ein paar Flaschen Schnaps, aus einem kleinen Diebstahl der Einbruch in ein Kellerabteil. Wladislaw war noch nicht volljährig, dafür amtsbekannt. Die Drogen wurden härter, die Delikte schwerer und irgendwann war klar, einfach wieder aufhören – das geht nicht. 20 Jahre hat Wladislaw Drogen konsumiert, zehn Jahre davon Heroin gespritzt. Mehr als 40 Anzeigen und acht Vorstrafen hat er gesammelt. Sucht, Geldmangel und Leichtsinn seien die Gründe gewesen. Heute schüttelt er seinen Kopf, wenn er erzählt, dass sich einmal im Internet Falschgeld bestellt hat. „Wenn du dir das Falschgeld ansiehst, weißt du im nüchternen Zustand: das wird niemals funktionieren, nie im Leben geht das durch. Aber es reicht ein Tag, an dem du Drogen kaufen möchtest, dich nicht unter Kontrolle und das Falschgeld in der Börse hast…“

Doch das sind alles Geschichten aus dem Vorher. Seit bald drei Jahren lebt Wladislaw im Nachher. Und das sieht man ihm an: selbstbewusst, sportlich und ein freundliches, einnehmendes Wesen. Wer glaubt, dass der Weg in das Nachher ein Spaziergang war, irrt. Er war von Rückschlägen geprägt. Dreimal war Wladislaw in einer Entzugseinrichtung, dreimal wurde er rückfällig. Gleich am Bahnhof, noch vor der Heimreise, setzte er sich den nächsten Schuss.

Bewährungshilfe als Wendepunkt

Für den Erfolg, den Wendepunkt, brauchte es einen vierten Versuch. Da hatte er bereits Bewährungshilfe. Seine Bewährungshelferin, Andrea Peck, war ihm, wie er sagt „eine fixe Stütze.“ Doch auch das war ihm nicht von Anfang an klar. Zu Beginn war mir alles völlig egal. Ich habe mir gedacht, da gehst alle zwei Wochen hin, erzählst irgendetwas und dann gehst wieder heim“, sagt er. „Aber irgendwann bin ich draufgekommen, dass diese Einstellung nur noch weiter in die Sackgasse führt, aus der ich im Innersten hinauswollte.“ 

Andrea Peck habe ihm geholfen, eigene Strategien zu entwickeln, seine Probleme anzugehen. „Wenn mir jemand gesagt hätte, was ich zu tun habe, hätte ich das nie angenommen. Frau Peck hat aber ihre Ideen und Ansichten mit mir geteilt, ohne mich zu bewerten, wie es alle anderen taten. Und so konnte ich nach einer Zeit selbst herausfinden, was zu tun ist.“

Sport als Anker

Kurz vor Ende seiner mehrmonatigen Entzugstherapie schwört sich Wladislaw, 100 Prozent zu geben – 100 Prozent für sein Leben. Zum ersten Mal gesteht er sich ein, dass er selbst für sich verantwortlich ist. Keine Ausreden mehr. „Der Anker, der mich bei einer drohenden Rückfälligkeit zurückgehalten hat, war von da an der Sport“, sagt er. In der Entzugseinrichtung beginnt er regelmäßig zu trainieren und auf einmal fühlt er sich zum ersten Mal wohl und gesund. Ein Blick in den Spiegel zeigt, dass die Veränderung, die er durchlebt, nicht nur mental sondern auch körperlich ist.

Vier Monate verbringt er in der Entzugseinrichtung und danach wird er noch einige Zeit von seiner Bewährungshelferin begleitet. Heute hat Wladislaw einen Job, der ihn erfüllt – er arbeitet in einer Sozialeinrichtung -, treibt regelmäßig und leidenschaftlich Sport, liest viel und beschäftigt sich mit Psychologie, Philosophie, seinen Gefühlen und Gedanken. „Ich weiß jetzt, dass ich etwas wert bin und ich weiß auch, dass man sein Leben verbessern kann, wenn man an sich arbeitet und dahinter bleibt – in allen Aspekten.“

Wladislaw hat sich all das erarbeitet. Er hat dafür eine zweite, eine dritte und eine vierte Chance benötigt, aber die hat er dann am Schopf gepackt.

Über die/den Autor:in
Thomas Marecek

Thomas Marecek leitet die Kommunikation bei NEUSTART

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