#TeamNEUSTART: Ramona Madertoner

Ramona Madertoner hat direkt nach ihrem Studium und einem Praktikum bei der Suchthilfe bei NEUSTART Vorarlberg begonnen. Sie spricht für #TeamNEUSTART über jugendliche Klient:innen und Sucht …

Bitte stell dich kurz vor
Mein Name ist Ramona Madertoner. Ich bin 28 Jahre alt und vor Kurzem nach Lauterach gezogen.

In welcher NEUSTART Einrichtung und welchem Bereich arbeitest Du?
Bei NEUSTART Bregenz in den Bereichen Bewährungshilfe und Vermittlung gemeinnütziger Leistungen.

Seit wann bist du bei NEUSTART und warum hast du dich für diesen Berufsweg entschieden?
Seit 1. Mai 2024. Ich wollte schon immer zu NEUSTART, weil das einfach eine richtig coole Organisation ist. Schon im Studium habe ich relativ schnell gemerkt, dass unsere Klient:innengruppe mega interessant ist – aber auch, dass sie von der Gesellschaft stark stigmatisiert wird. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass das nicht mehr so ist.

Was gefällt dir an dieser Arbeit am besten?
Die unterschiedlichen Menschen. Man weiß nie, was auf einen zukommt. Man kann zwar versuchen, den Arbeitstag zu planen, meist klappt das aber nicht (lacht). Das finde ich sehr spannend. Wenn man dann am Abend auf den Tag zurückblickt, hat es dann doch wieder irgendwie funktioniert.

Du hast mir vorab erzählt, dass du gerne über jugendliche Klient:innen mit Suchtproblematik sprechen möchtest. Warum beschäftigt dich das gerade?
Weil ich gerade den konkreten Fall einer jungen Klientin habe, die in der Sucht feststeckt. Dabei musste ich erfahren, dass solche Jugendlichen einfach nirgendwo unterkommen. Sie hat zum zweiten Mal den Wohnplatz verloren und keine Ansprechperson mehr neben mir. Alles, was mit ihrem Leben zu tun hat, ist gerade auf NEUSTART „abgewälzt“ und das beschäftigt mich einfach. Leider wird nur sehr wenig darüber gesprochen, wie schwierig die Themen Wohnplatz und Obsorge für solche Jugendlichen sind. Die Therapiemöglichkeiten sind sehr eingeschränkt. Wir haben jetzt in Deutschland, in Ravensburg, einen Platz für sie gefunden. Ich war schon mit ihr beim Erstgespräch und jetzt ist sie auf der Warteliste. Nachdem sich sonst niemand für sie zuständig fühlt, bin ich mit ihr hingefahren und habe alles mit der ÖGK geklärt. Bei uns konnte sie nicht in die Jugendpsychiartrie, weil sie das Thema Sucht dort nicht abdecken. Die meisten Jugendlichen werden ambulant betreut aber ohne Wohnplatz ist das schwierig. Vor allem bei Fremdunterbringung ist das ein großes Zusatzproblem.

Wie alt sind die Jugendlichen von denen wir hier sprechen?
Das fängt schon mit 14 an, wenn sie zum ersten Mal zu uns kommen und geht bis ins Erwachsenenalter. Teilweise erzählen sie von Suchterkrankungen seit sie zwölf Jahre alt waren, also noch bevor sie bei uns andocken konnten. Sie berichten von ähnlichen Problemen, weil die Angebote sehr eingeschränkt sind.

Welche Süchte begegnen dir in dieser Altersgruppe am häufigsten?
Auf jeden Fall Cannabis. Momentan sind außerdem Benzodiazepine hoch im Kurs. Kokain zwar auch immer wieder aber suchttechnisch sind Gras und Benzos das größte Thema.

Welche Ursachen siehst du für diese frühen Suchterkrankungen, beobachtest du typische Muster oder unterscheidet es sich individuell stark?
Häufig beobachte ich eine gewisse Vorveranlagung, weil Sucht schon in der Familie war, oder das Fehlen von Ansprechpartner:innen und Integration ins System bei fremduntergebrachten Jugendlichen. Bei Cannabiskonsument:innen spielt auch ganz stark die Langeweile mit. Sie wissen nicht, wo sie sich aufhalten sollen und „haben sonst nichts zu tun“. Es wird immer weniger, dass sich Jugendliche auf Skateparks oder drinnen treffen und ihre Freizeit aktiv gestalten. Sie halten sich auf der Straße auf, kiffen draußen am See, schwänzen die Schule, … Bei den wirklich starken Suchterkrankungen ist es oftmals tatsächlich eine Suchtgeschichte in der Familie oder es spielen traumatische Erlebnisse mit, die verarbeitet werden.

Warum kommen diese Jugendlichen zu uns? Welche Delikte setzen sie?
Hauptsächlich Diebstahl, Delikte nach dem Suchtmittelgesetz und Körperverletzungen.

Wie oft ist ihre Sucht eine, oder vielleicht sogar die Hauptursache, für das kriminelle Verhalten jugendlicher Klient:innen?
Bei meinem konkreten Fall ist es so ein bisschen ein Zusammenspiel aus unsicherem Wohnplatz und fehlendem Geld. Dann kommt es zu kleineren Diebstählen – hier eine Leberkäsesemmel, da eine Tafel Schokolade, … Im berauschten Zustand machen diese Jugendlichen Dinge, die sie nüchtern nicht tun würden. Das ist wirklich sehr oft das Thema. Oft ändert sich der Freundeskreis und die Gruppendynamik führt dazu, dass gemeinsam etwas geklaut oder Gras gekauft wird. Wenn Sucht eine Rolle spielt, dann kommen Jugendliche aus dieser Spirale nicht mehr heraus. Sie stellen fest, dass sie keinen Wohnplatz bekommen, weil sie süchtig sind, fragen sich, was ihre Perspektive ist. Die Folge ist Resignation. Sie akzeptieren, dass es so ist und machen weiter damit.

Welche Präventionsmaßnahmen erscheinen dir sinnvoll, um diesen Kreislauf zu durchbrechen? Welche Rolle spielt NEUSTART dabei?
Wichtig wäre ein Angebot an Wohnraum für suchterkrankte Jugendliche, wo der Konsum zu einem gewissen Teil akzeptiert wird. Außerdem die Ausweitung von stationären Plätzen – aber auch für Erwachsene ist das in Vorarlberg ein großes Thema. Wir reden derzeit von Wartezeiten zwischen drei und sechs Monaten. Für viele Süchtige ist einfach nicht sicher, ob sie dort jemals ankommen werden, ob sie dann noch leben. NEUSTART spielt eine Rolle als Systempartner. Bei uns finden süchtige Jugendliche einen Raum, wo sie nicht vorverurteilt werden, wo sie offen und ehrlich sagen können, wenn sie konsumiert haben. Dieser respektvolle Umgang schafft Vertrauen.

Worin unterscheiden sich eigentlich jugendliche von erwachsenen Klient:innen mit Suchtproblemen?
Ich habe das Gefühl, dass sich Jugendliche noch öfter Hilfe suchen. Dass sie Dinge tun, die ein Hilfeschrei sind – etwa anrufen und sagen, dass sie zu viel konsumiert haben. Sie testen das Vertrauen aus. Teilweise sind sie auch noch ehrlicher, was ihren Konsum anbelangt. Für Erwachse ist es schwieriger und es dauert meist länger, Vertrauen zu fassen.

Schaffen es Jugendliche noch leichter, einen Ausweg aus der Sucht und ihrer Straffälligkeit zu finden oder spielen andere Faktoren eine größere Rolle als das Alter?
Momentan ist es für sie fast schwieriger als für Erwachsene, weil die Angebote so hochschwellig sind. Somit haben Jugendliche öfter das Gefühl, auf sich alleine gestellt zu sein. Auf der anderen Seite haben sie das Leben noch vor sich und es können leichter Perspektiven geschaffen werden. Aber auch das dauert, weil sie schon so viel Frust mit dem System erlebt haben.

Welche Reaktionen löst deine Arbeit – allgemein aber auch speziell mit jungen suchtkranken Klient:innen – in deinem privaten Umfeld aus? Bist du mit vielen Vorurteilen konfrontiert und wie gehst du damit um?
In privaten Runden erlebe ich immer wieder, dass „irgendwelche Onkels“ Vorurteile haben, wenn es um meine Arbeit geht. Da fallen dann Sätze wie: „Die haben sich ja selbst dafür entschieden.“, „Sie sollen einfach damit aufhören.“, „Wir stecken da eh schon viel zu viel Geld hinein.“, … Ich versuche dann, konstruktiv meine Perspektive einzubringen, zu erklären, warum unsere Arbeit wichtig ist. Anfangs hat mir wehgetan, wenn so über Klient:innen gesprochen wird, inzwischen versuche ich, Aufklärung zu betreiben, dieser Stigmatisierung entgegenzuwirken und in einen wertschätzenden Diskurs zu kommen.

Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Ich habe zwei Nichten und Patenkinder, mit denen ich viel Zeit verbringe und wo sich gar nicht die Frage stellt, über den Job zu reden. Da merke ich, dass ich wieder eine ganz andere Perspektive aufs Leben bekomme. Das ist ein super Ausgleich. Obwohl sie schon auch daran interessiert sind, was ich beruflich mache, gibt mir ihre kindliche Perspektive Hoffnung für die Zukunft. Sie sagen über meine Klient:innen zum Beispiel: „Aber Tante, das ist doch nicht so schlimm, rede einfach mit ihnen.“

Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Ich bin sehr dankbar über den Austausch bei uns im Team. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich je das Gefühl, alleine mit einem Fall zu sein. Wenn es zu viel wird, weiß ich, ich kann in jedes Büro reinspazieren und die:der Kolleg:in setzt sich mit meinem Thema auseinander. Das finde ich mega!

Über die/den Autor:in

Laura Roth ist seit 2019 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins NEUSTART. Ihre Schwerpunkte sind die interne Kommunikation und unsere Newsletter. In unserer Serie #TeamNEUSTART holt sie regelmäßig Kolleg:innen aus ganz Österreich vor den Vorhang

Mehr von mir lesen >>

Bleib auf dem Laufenden mit unserem Newsletter NEUSTART news!