Betreuung bei Sexualdelikten – zwischen Nähe und Distanz

Die Arbeit mit Sexualstraftäter:innen ist nichts, das man „einfach so“ macht. Sie ist herausfordernd, anstrengend, treibt einen manchmal an die Grenzen und ist dabei oft schwer auszuhalten. Aber: Sie ist wichtig. Sehr wichtig sogar!

Im Rahmen eines österreichweiten Fortbildungsblocks für spezialisierte Beamt:innen der Polizei für Sexualdelikte durfte ich über die Möglichkeiten und Herausforderungen in der Betreuung dieser Klient:innengruppe sprechen. Dabei kamen im Austausch die – fast immer gestellten – Fragen auf:

  • Wie hält man das persönlich aus?
  • Warum entscheidet man sich bewusst für so eine Arbeit?

Ich bin hier ehrlich, auch aus eigener Erfahrung: Es gibt Momente, in denen die Inhalte der Taten allein schon emotional auf einem lasten, noch bevor das erste Gespräch geführt wurde. Es geht um Leiden und Erfahrungen, die man nicht immer einfach zur Seite legen kann, wenn man nach Hause geht.

Man muss eine innerliche Distanz schaffen – nicht, weil einem das Gegenüber oder die Opfer egal wären, sondern weil es nötig ist, um klar und professionell handeln zu können.

Auch im Bewusstsein, dass es hier nicht nur um den:die Klient:in vor einem geht, sondern um den Schutz möglicher Opfer und damit um Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bei Delikten, die gravierendste Auswirkungen auf die Opfer haben.

Weil es Sinn macht und weil es notwendig ist

Im Raum steht oftmals die Frage: „Wie halte ich die Balance?“ Zwischen Empathie und Abgrenzung, zwischen Zuhören und Konfrontieren, zwischen Unterstützung und Kontrolle. Auch im Bewusstsein, dass es hier nicht nur um den:die Klient:in vor einem geht, sondern um den Schutz möglicher Opfer und damit um Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bei Delikten, die gravierendste Auswirkungen auf die Opfer haben.

Warum also tut man sich das an? Bisher war es ja nicht gerade die beste Werbung. Weil es Sinn macht und weil es notwendig ist!

Rückfallprävention funktioniert nicht durch Kontrolle allein (auch wenn Kontrollaspekte bei vielen Täter:innentypologien in diesem Bereich wichtig sind). Sie gelingt erst durch eine tiefe Auseinandersetzung mit den Delikthintergründen, mit Sexualverhalten, mit Risikofaktoren und mit dem Opferprofil. Und diese Auseinandersetzung braucht eine Beratungsbeziehung mit den Täter:innen, die tragfähig ist und auf respektvollem Umgang beruht. Ohne das Arbeiten auf Augenhöhe kann kein Vertrauen und keine Offenheit entstehen, die für eine Zusammenarbeit in Hinblick auf Veränderung und Prävention notwendig sind.

Wir sprechen hier auch nicht von Delikten, die „nur“ finanzielle Schäden hinterlassen wie eine Sachbeschädigung oder ein Diebstahl. Sexualstraftaten hinterlassen bei den Opfern tiefe psychische und physische Spuren, oftmals ein Leben lang. Jeder verhinderte Rückfall bedeutet, dass jemand nicht zum Opfer wird. Das ist die wohl größte Motivation hierbei.

Die Forschung bestätigt, was wir in der Praxis erleben: Rückfallprävention in diesem Bereich gelingt am besten, wenn sie risiko- und bedarfsorientiert, gezielt als auch responsiv erfolgt.

Jeder verhinderte Rückfall ist ein Erfolg

Aber genauso wichtig ist der Faktor Mensch und dabei die Reflexion der eigenen Gefühle und Grenzen. Wenn mich das Thema oder der Bereich abstoßen oder ich blockiert bin, über Sexualität zu reden und mich mit den intimsten Wesenszügen von Klient:innen auseinanderzusetzen, wird mir eine konstruktive und nachhaltige Zusammenarbeit nicht gelingen – und ich drohe in kürzester Zeit an der Schwere der Thematik zu brechen oder diese gezielt zu vermeiden.

Ja, diese Arbeit ist eine Herausforderung. Ja, sie wiegt manchmal sehr schwer auf einem. Aber gerade dort, wo es am Schwersten ist, kann diese Arbeit oft auch am meisten bewirken.

Jeder verhinderte Rückfall ist ein Erfolg, den leider zumeist niemand sieht. Aber für die Gesellschaft, für möglich Opfer – aber auch für uns als Expert:innen – bedeutet er viel.

Über die/den Autor:in

Leiter von NEUSTART Niederösterreich und Burgenland seit 2017. Zuvor Abteilungsleiter und Sozialarbeiter, im Schwerpunkt tätig in der Bewährungshilfe, Haftentlassenenhilfe und Anti-Gewalt-Training.
Nebenberuflicher Lektor an der der FH St. Pölten für „Devianz und Strafrecht“. Referent für Gewaltarbeit und (De-)Radikalisierung.
Vor NEUSTART als Flüchtlingsberater, Outplacer und Schulsozialarbeiter beschäftigt.

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