Erfahrungsaustausch: Mein Tag bei NEUSTART in St. Pölten

Ich bin seit 2003 bei der Justiz und seit 2011 als Bezirksanwalt der Staatsanwaltschaft St. Pölten tätig. Vor Kurzem durfte ich NEUSTART im Rahmen einer Hospitation kennenlernen. Danke an die staatsanwaltliche Leiterin und den Leiter von NEUSTART Niederösterreich und Burgenland, die mir damit spannende Einblicke ermöglichten!

Volles Programm und wertvolle Einblicke

Bereits im Vorfeld wurde ich nach Bereichen, für die ich mich besonders interessiere, gefragt und meinen Wünschen wurde mit einem ganztägigen Programm vollends Rechnung getragen.

Mein Tag startete mit einer freudestrahlenden Begrüßung samt Willkommenskaffee durch Bewährungshelferin Jasmin. Während ich meine Dienstzeit für gewöhnlich überwiegend in meinem Amtsraum, meinem Home-Office-Zimmer zuhause oder in den Verhandlungssälen von Bezirksgerichten verbringe, durfte ich mit ihr gleich zum Start ein erstes kleines Highlight erleben: einen Hausbesuch bei einem ihrer Bewährungshilfe Klienten. Ihr, mittlerweile langjähriger, Klient Alfred hat schon einiges erlebt, worüber er auch gerne freigiebig erzählt hat. Trotz einer nunmehrigen, schwereren Erkrankung hat er seinen Humor nicht verloren, was mich tatsächlich beeindruckt hat. Seiner Freizügigkeit und Mitteilungsbereitschaft in den so wichtigen Gesprächen dürfte vor allem das, mittlerweile gefestigte, Vertrauen zu seiner Bewährungshelferin zu Grunde liegen, das ist zumindest mein Eindruck. Geduldig hört sie ihm zu, gibt ihm Rat und stellt wichtige Nachfragen in einer Zeit, die für ihn nicht leicht zu bewältigen ist.

Ausflüchte weichen echter Verantwortungsübernahme

Nach unserer Rückkehr in die Vereinsräumlichkeiten darf ich einem Termin zur Vermittlung gemeinnütziger Leistungen mit Vermittlerin Monika beiwohnen. Bestens vorbereitet, klärt sie den jungen Erwachsenen, der das Wort Selbstbedienungsladen wohl zu wörtlich genommen hat, über seine aktuellen Möglichkeiten im laufenden Strafverfahren auf. Erste minimale Ausflüchte weichen rasch einer echten Verantwortungsübernahme. Monika legt eine derartig gute Mischung aus professioneller Ernsthaftigkeit und Humor an den Tag, dass der beschäftigungslose junge Mann sich fast schon auf seine 60 Stunden gemeinnütziger Leistung zu freuen scheint. Letztlich hoffen wir, dass er seine Motivation bis zum Abschluss der Leistungen – und besser noch darüber hinaus – aufrechterhält.

Fruchtbringende Reflexion der Tathandlung

Nach einer Mittagspause darf ich noch einen Bewährungshilfe-Termin mit Jasmin absolvieren – dieses Mal inhouse, mit ihrem Klienten Herrn W., der erfreulicherweise bereits kurz vor Abschluss seiner Probezeit steht. Im tiefgreifenden Gespräch zeigt sich, wie reflektiert der straffällig Gewordene seine Tathandlung aufgearbeitet hat und wie fruchtbringend die Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe ihn über die letzten Jahre mitgeprägt und vor erneuter Straffälligkeit weit weggeführt hat. Nach einer mehrwöchigen Alkoholentwöhnung kann er nun auch ein besseres Vorbild für seine Enkelkinder sein – eine wahrlich tolle Vorstellung, die ihn dazu antreibt, den Zustand der Nüchternheit weiter aufrecht zu erhalten.

Faustschlag unter Bekannten dank Tatausgleich geklärt

Das Thema Alkohol lag auch dem Sachverhalt des darauffolgenden Termins eines außergerichtlichen Tatausgleichs mit Konfliktregler Thomas zu Grunde: Ein Faustschlag zu viel war es nach dem Faschingsumzug, und das auch noch unter guten Bekannten. Seine Berufserfahrung und sein gutes Gespür geben Thomas letztlich recht, und so klappte das Tandem-Gespräch – unter gleichzeitiger Beiziehung von Beschuldigtem und Opfer, wie ich gelernt habe – optimal. Nach- sowie nebeneinander zum Vorfall befragt, konnten keine großen Widersprüche entdeckt werden, sodass bereits binnen kurzer Zeit ein klares gemeinsames Ziel ersichtlich wurde: Es soll einfach so werden, wie es vor dem Vorfall war. Konfliktvermeidungsstrategien wurden ebenfalls eingehend besprochen – und so kam es, dass die beiden Beteiligten, die im Vorfeld des Termins noch angespannt und wortlos nebeneinander sitzend auf den Aufruf des Gesprächs warteten, bereits während der Wartezeit auf den Ausdruck des wechselseitig zu unterfertigenden Formulars, bei einer gemeinsamen Zigarette das nächste Treffen besprechen und die Vereinsräumlichkeiten wieder als gute Bekannte gemeinsam verlassen konnten.

Nächster Halt: Gewaltpräventionsberatung

Während eines Gesprächs in der Mittagspause, mit der ebenso vollmotivierten Gewaltspräventionsberaterin Michelle, konnte sie mich so sehr für dieses Fachgebiet begeistern, dass ich bereits meinen Wunsch nach einer kurzen Nachhospitation für diesen Themenbereich deponiert habe.

Straffreiheit als gemeinsames Ziel

Am Stärksten beeindruckt haben mich die hohe Kompetenz der einzelnen Mitarbeiter:innen und das hervorragend wirkende Betriebsklima, wobei dort auch – noch mehr als im bezirksanwaltlichen Bereich – auf regelmäßigen, gegenseitigen Erfahrungsaustausch geachtet wird. Gleichzeitig war auch eine große Leidenschaft an der Tätigkeit der Mitarbeiter:innen spürbar!

Vor allem die langfristige Betreuung von Klient:innen unterscheidet Bewährungshilfe und Strafverfolgungsbehörden fundamental, nämlich insbesondere in Zeiten des Wohlverhaltens. Zur Erfüllung unseres vielleicht wesentlichsten gemeinsamen Ziels, nämlich der nachhaltigen Straffreiheit von straffällig gewordenen Personen, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen allen damit befassten Institutionen ein wesentlicher Baustein. Auch das Auswählen der richtigen Diversionsvariante ist zur Erfüllung dieses Ziels bestimmt elementar.

Ich bedanke mich für die Möglichkeit zur Teilnahme und möchte meine staatsanwaltschaftlichen Kolleg:innen hiermit nochmals dazu motivieren, diese ebenfalls zu nutzen.

Über die/den Autor:in

Robert Burgstaller ist Bezirksanwalt der Staatsanwaltschaft St. Pölten. Im Rahmen einer Hospitation hat er im Frühjahr 2025 einen Tag bei NEUSTART Niederösterreich und Burgenland verbracht und seine Eindrücke in einem Gastbeitrag festgehalten.

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