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2.7 (Un-)Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass eine voraussichtlich zu gewährende bedingte Strafnachsicht oder bedingte Entlassung bei der Verhängung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft unberücksichtigt zu bleiben hat. Diese Praxis ist zu kritisieren und sollte durch klare gesetzliche Regelungen ausgeschlossen werden.

Vorschlag

Die Verhältnismäßigkeit der U-Haft soll am tatsächlich zu erwartenden Strafübel orientiert sein. Gesetzlich soll klargestellt werden, dass die Möglichkeit einer bedingten Strafnachsicht gemäß §§ 43, 43a StGB sowie die Möglichkeit einer bedingten Entlassung gemäß § 46 StGB in die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach §§ 173 Abs. 1 und 177 Abs. 2 StPO einzubeziehen sind.

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Bei einer verfassungskonformen (den Eingriff in das Grundrecht Freiheit mit Präventions- und Prozessgrundsätzen abwägenden) Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine in Betracht kommende Anwendung der §§ 43, 43a StGB mit dem Gewicht des in Frage kommenden Haftgrundes in Relation zu setzen und zu prüfen, ob die Verhängung oder Fortsetzung der Freiheitsentziehung zur Sicherung des Verfahrens (Flucht- oder Verdunklungsgefahr) oder aus Präventionsgründen (Tatbegehungs- oder Tatausführungsgefahr) angesichts der zu erwartenden bedingten Strafnachsicht noch vertretbar erscheint: „Was wiegt schwerer: die Freiheit des Beschuldigten, für dessen Resozialisierung gar keine unbedingte Freiheitsstrafe notwendig ist, oder die Prozesssicherung?“ Unter diesem Blickwinkel steht insbesondere der Haftgrund der Tatbegehungs- oder Tatausführungsgefahr zu einer (nur bei günstiger spezialpräventiver Prognose) zu erwartenden bedingten Strafnachsicht in einem absoluten Missverhältnis. Die Flucht- oder Verdunklungsgefahr kann bei anzunehmender bedingter Strafnachsicht lediglich eine kurzfristige verfahrenssichernde Freiheitsentziehung rechtfertigen.

Auch der Anspruch auf eine bedingte Entlassung (§ 46 StGB) sollte – soweit dies bei der Haftentscheidung schon abzusehen ist – in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen werden. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich durch die Regelung des § 265 StPO (Vorliegen der Voraussetzungen einer bedingten Entlassung sind bereits im Zeitpunkt des Urteils zu beachten) bereits ein Signal für die Berücksichtigung gegeben.