#TeamNEUSTART: Nina Schöninkle

Nina Schöninkle ist selbstständige Psychotherapeutin und begleitet hauptberuflich häufig Opfer von Gewalt. Ihr Wissen über Täter:innen aus dem Ehrenamt hilft ihr dabei …

Bitte stell dich kurz vor. In welcher Region und seit wann engagierst du dich als ehrenamtliche Bewährungshelferin?
Ich heiße Nina Schöninkle und bin 42 Jahre alt. Ich bin seit 2009 im ehrenamtlichen Team Baden tätig, unter der Leitung von Ulrike Tauchner.

Warum hast du dich für dieses Ehrenamt entschieden? Was gefällt dir daran am besten?
Ich habe die Arbeit mit Straffälligen immer schon spannend gefunden. Die meisten Straffälligen haben ein Leben hinter sich, um das sie nicht zu beneiden sind, haben Verhaltensweisen entwickelt, um mit ihren Erlebnissen umzugehen, die gesellschaftlich nicht tragbar sind. Wenn man es schafft, in eine professionelle Beziehung zu ihnen zu treten, tritt eine wunderbare Reflexion dieser Verhaltensweisen und damit letzten Endes ein Hinterfragen des Verhaltens ein, das zur Tat geführt hat. Das setzt eine Entwicklung in Gang, die sie zurück in ein normales Leben bringt und so weitere Opfer verhindert. Ein Kollege von mir hat bei NEUSTART gearbeitet und als ein Platz im Team frei wurde, habe ich mich beworben. Ich finde das Ehrenamt wichtig, weil ich so dazu beitragen kann, dass sich das Leben von Täter:innen verbessert und weitere Straftaten verhindert werden.

Und was machst du hauptberuflich?
Ich habe 17 Jahre lang in einem Suchtverein gearbeitet und bin seit Oktober 2024 selbständig als Psychotherapeutin in eigener Praxis in Bisamberg und in Wien tätig. Als ich bei NEUSTART angefangen habe, habe ich noch im Suchtverein als Sozialarbeiterin und anschließend zehn Jahre lang als Therapeutin gearbeitet. Da hat es natürlich Überschneidungspunkte zu meinem Hauptberuf gegeben, weil ich im Zuge meiner Festanstellung auch viel mit Justizanstalten zu tun hatte.

Wie ergänzen sich dein Ehrenamt und Hauptberuf gegenseitig? Profitiert das eine vielleicht sogar vom anderen?
Die Berufe ergänzen sich sogar sehr gut, weil ich nach wie vor (auch) mit Menschen arbeite, die aus der Haft entlassen wurden, die Straftaten begangen haben, teils aus sehr zerrütteten Verhältnissen kommen und viele Sorgen und Ängste mit sich tragen, die in einer Therapie, oder auch im Zuge der Bewährungshilfe hinterfragt und verändert werden.

Was sagt dein Umfeld dazu, dass du ehrenamtliche Bewährungshelferin bist? Welche Rückmeldungen bekommst du, wenn du davon erzählst?
Die Rückmeldungen sind unterschiedlich. Von „Die sollen doch selber schauen, wie sie weiterkommen“ bis hin zu „Hast du keine Angst?“, oder aber auch „Finde ich gut und wichtig, dass es Menschen gibt, die sich dem annehmen“. Viele tun sich jedoch schwer damit, dass man Straffällige verstehen und für sie „da“ sein will, weil sie der Ansicht sind, sie hätten das Recht darauf verwirkt.

Wie viele Klient:innen begleitest du derzeit?
Derzeit sind es fünf.

Gibt es Klient:innen-Typen mit denen du besonders gerne und konstruktiv arbeitest? Also liegen dir bestimmte demografische Gruppen oder Delikt-Arten mehr als andere?
Ich arbeite gerne mit Suchtkranken, habe jedoch generell eine Vorliebe für schwere Straftaten, weil ich die Hintergründe verstehen möchte. Mich interessieren die Beweggründe, wie es dazu kommen konnte, warum die Klient:innen so eingeengt waren und nicht anders handeln konnten und was sie brauchen, um das zu verändern. Klient:innen die als „bockig“, „Gfrasta“, oder unbelehrbar gelten, sind diejenigen, mit denen ich am liebsten arbeite, weil ihre Entwicklung oftmals am schönsten ist, wenn sie sich auf diese einlassen können.

Gibt es so etwas wie eine typische Betreuungssituation? Wie laufen die Termine mit deinen Klient:innen ab?
Ein typischer Termin dauert ungefähr eine Stunde bei mir, mit einem seichten Start, wo über Allfälliges gesprochen wird, das ihnen gerade am Herzen liegt, ob sich was verändert hat vom letzten Termin bis heute und ob es Neuigkeiten gibt, die ich als Bewährungshelferin wissen muss – Polizeieinsätze, weitere Straftaten, oder dergleichen. Wenn die Beziehung gut ist – bis dahin dauert es üblicherweise ein paar Treffen – wird über viel Privates gesprochen: wie es ihnen geht, wie es mit der Beziehung und innerhalb der Familie aussieht, wie die Stimmung zuhause ist, über ihren Job oder Bewerbungssituationen, wie sie mit Konflikten umgehen, mit Frustration, Rückschlägen etc. Oft werden auch gemeinsam Bewerbungen verfasst, Mails an Behörden geschrieben, damit begonnen die Schulden zu regulieren und natürlich wird die Tat – und damit der Grund aus dem sie hier sind – nie außer Acht gelassen.

Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit Straffälligen?
Eine Beziehung zu den Klient:innen aufzubauen, die es ihnen erlaubt, ehrlich zu sein und ihr Verhalten zu reflektieren. Eine Beziehung, die davon geprägt ist, nicht zu verurteilen, denn das wurden sie schon. Außerdem die Trennung zwischen Mensch und Tat, die es erlaubt, die Tat und das Verhalten auf einer sachlichen Ebene zu reflektieren und in die emotionale Ebene, im Sinne von Opferempathie, zu implementieren. Durch diese Reflexion können meine Klient:innen ihr Verhalten auf beiden Ebenen nachhaltig verändern.

Woran merkst du ganz konkret, dass deine ehrenamtliche Arbeit etwas bewirkt?
Ich merke es vor allem daran, dass die Termine zu Beginn oft eher oberflächlich sind und dann, nach einem gelungenen Beziehungsaufbau, schön in die Tiefe gehen und daran, dass viele Klient:innen im Endeffekt ihre Erfolge mit mir teilen wollen, mir erzählen möchten was sie geschafft haben.

Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job und Ehrenamt? Was machst du in deiner Freizeit?
Ich bin sehr sportlich und habe einen Sohn, der ein kleiner Wirbelwind ist, mit dem ich viel unternehme. Ich bin, auch durch die Arbeit, dankbar dafür, dass mein Leben nicht so verlaufen ist, wie das vieler Klient:innen mit denen ich arbeite.

Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Ich möchte anmerken, dass jegliche Empathie für die Täter:innen eine Empathie für die Opfer nicht ausschließt – ganz und gar nicht. Gerade weil mir die Opfer wichtig sind, ist die Täter:innenarbeit unabdingbar. Das wird gerne vermischt, was ich schade finde. In der eigenen Praxis arbeite ich überwiegend mit Opfern von Gewalt, teils schwer traumatisierten Menschen, wo mir das Wissen über Täter:innen schon immer gut geholfen hat. Ich positioniere mich angesichts ihrer Taten, auch ihnen gegenüber, sehr klar, mache ein Angebot daran zu arbeiten, sie bei der großen Veränderung zu begleiten, relativiere aber niemals ihre Taten.

Über die/den Autor:in

Laura Roth ist seit 2019 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins NEUSTART. Ihre Schwerpunkte sind die interne Kommunikation und unsere Newsletter. In unserer Serie #TeamNEUSTART holt sie regelmäßig Kolleg:innen aus ganz Österreich vor den Vorhang

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