Bitte stell dich kurz vor.
Mein Name ist Nicola Candussi, ich bin 33 Jahre alt, Musiker und wohne im Bezirk St. Veit an der Glan in Kärnten, außerdem bin ich Listenhundbesitzer 😉.
Seit wann bist du bei NEUSTART und über welche Stationen hat dich dein Berufsweg hierhergeführt?
Seit Dezember 2024. Schon während des Studiums habe ich in unterschiedlichen WGs und in der 1:1-Betreuung gearbeitet, danach in der offenen Jugendarbeit in Wien – also als Streetworker, zuerst als Basismitarbeiter, später in der Teamleitung.
In welcher NEUSTART Einrichtung und welchem Bereich arbeitest Du?
Bei NEUSTART Kärnten in der Geschäftsstelle Klagenfurt in den Bereichen Bewährungshilfe, Haftentlassenenhilfe und einem unserer drei Angebote zur Suchtprävention.
Die Suchtprävention bietet NEUSTART in dieser Form nur in Kärnten an. An wen richtet sich das Angebot, in dem du tätig bist?
Es handelt sich um ein grundsätzlich freiwilliges Präventionsprogramm namens „Use it“, das sich an Menschen wendet, die sich in Substitution befinden und Unterstützung in unterschiedlichen Bereichen ihres Lebens benötigen. Wir sprechen von einem niederschwelligen Beratungsangebot, dessen Zielsetzung von der Bedürfnislage der Klient:innen mit abhängt. Es geht um Reflexion, Entlastung, sowie Beratung und Begleitung durch diese Lebensphase. Darüber hinaus bieten wir in Kärnten die Programme „Way out“, für Menschen, die am Beginn einer Suchtkarriere stehen und „Grenzwert“, zur Alkoholprävention bei jungen Menschen, an.
Warum gibt es gerade in Kärnten Bedarf an diesem Angebot? Welche regionalen Angebote und Anlaufstellen gibt es für Betroffene darüber hinaus?
Kärnten ist ländlich geprägt. Zwar gibt es auch hier Städte, mit urbanen Ballungsräumen – wie Wien, Graz oder auch Linz – sind sie aber nur schwer zu vergleichen. Dementsprechend braucht es dezentrale Versorgungsstrukturen. In Kärnten weisen die Drogenambulanzen zu und fungieren als unsere Kooperationspartner:innen. Andere niederschwellige und aufsuchende Angebote der offenen Sozialen Arbeit, wie zum Beispiel Streetwork, sind ein wichtiges Bindeglied zu schwer erreichbaren Klient:innen.
Wie finden die Teilnehmer:innen zu uns?
Grundsätzlich handelt es sich – wie schon umrissen – um ein freiwillig in Anspruch zunehmendes Angebot. Allerdings kann die Zusammenarbeit mit NEUSTART, über gesundheitsbezogene Maßnahmen per Weisung der Gesundheitsbehörde oder Gerichte, zur Auflage für unsere Klient:innen gemacht werden. Sie werden in diesem Fall von den zuweisenden Stellen über das Angebot informiert. Eine Voraussetzung für das Angebot „Use it“ ist zum Beispiel, dass sich die Teilnehmer:innen in Substitutionsprogrammen befinden. Es handelt sich also quasi um ein erweitertes Angebot der Drogenambulanzen, das in Kärnten durch NEUSTART ausgeführt wird.
Was passiert dann konkret in den Terminen? Wie und woran arbeitest du mit deinen Klient:innen? Gibt es Strategien und Methoden, mit denen du besonders gute Erfahrungen machst?
Die Termine verlaufen sehr unterschiedlich. Der Inhalt der Gespräche hängt von den Themen ab, die die Klient:innen besprechen wollen. In jedem Fall aber sind die Termine stark von Reflexion, Planung und der Erarbeitung von Bewältigungs- und Entlastungsstrategien geprägt. Themen sind dabei etwa die Lebensgestaltung, Partnerschaften oder die Substitution und der Umgang mit ihrer Reduktion. Außerdem geht es um die Rückkehr in ein Leben frei von Abhängigkeiten und das Aufbauen und Halten eines sozialen Umfelds, das möglichst fern von Substanzmissbrauch lebt. Methoden, die ich gerne verwende, sind angeleitete Reflexionen anhand von Übungen und Methoden oder Skalierungen und Diagramme. Ich führe das in Zusammenarbeit mit den Klient:innen durch und leite dabei an. Bei den meisten Terminen gebe ich den Klient:innen eine Aufgabe für das nächste Mal mit und bin telefonisch, für akute Fragen und bei Gesprächsbedarf, erreichbar – das wird auch gerne und häufig genutzt.
Woran merkst du konkret, dass die Suchtprävention wirkt?
Wirkungsnachweis und Präventionsarbeit ist ein Thema für sich – um wirklich nachhaltige Wirkungen meiner persönlichen Arbeit feststellen zu können, bin ich fast noch zu kurz dabei. Worauf ich mich aber verlassen kann, sind die Rückmeldungen meiner Klient:innen und meine Beobachtungen was ihre Erscheinung, ihre Erzählungen und ihre generelle Verfassung angeht. Fallweise bekomme ich auch Informationen aus ihrem Umfeld – denn, auch unter Einhaltung der Verschwiegenheit, arbeiten wir in Kärnten in einer vergleichsweise überschaubaren Szene.
Wie hat sich der Drogen- und Alkoholkonsum in den vergangenen Jahren verändert? Welche Entwicklungen oder Trends beobachtest du zum Beispiel bei Jugendlichen?
Meine Beobachtungen ersetzen keine gesicherten Zahlen und Statistiken, mir fällt jedoch auf, dass Jugendliche eine immer stärkere Affinität zu teilweise hochriskanten Rauschmitteln aufweisen. Was noch zu meiner Studienzeit unter „riskantem Probierkonsum“ zusammengefasst wurde, erstaunt heute in manchen jugendlichen Freundesgruppen niemanden mehr. Konkret bedeutet das, dass nicht nur mir auffällt, dass gewisse Jugendliche immer geringere Schwellen im Umgang mit riskantem Substanzkonsum haben. Der Gebrauch von Cannabisprodukten wird beispielsweise bagatellisiert und gilt in manchen Subkulturen als normal. Auch andere und deutlich potentere Substanzen sind dazugekommen. Ich höre von vielen Jugendlichen, dass ein „Fortgehen ohne Kokain oder Amphetamine“ eher langweilig, ja fast sinnlos, ist. Dazu kommen die relativ einfache Beschaffung aus dem Internet und die verherrlichende Verharmlosung von Suchtmitteln. Auf Social Media finden sich zahlreiche Beispiele, die Jugendlichen Identität und Zugehörigkeit durch Drogenkonsum versprechen. Drogenabhängigkeit wird in einer Weise präsentiert, der junge Menschen durchaus etwas abgewinnen können. Zugehörigkeit ist ein wichtiges Thema in diesem Alter und sie wird in gewissen Szenen zunehmend über den Weg des Konsums erreicht.
Wie gehst du damit um? Hilft dir dein Streetwork Hintergrund bei dieser Aufgabe?
Als Streetworker braucht man, wie überall in der Sozialen Arbeit, die Fähigkeit, Zugang zu Menschen zu finden. Die Jahre als Straßensozialarbeiter haben mich in dieser Hinsicht bestimmt geprägt. Ich hoffe, dass meine Klient:innen mich und meinen Zugang als integer und echt wahrnehmen. Bei NEUSTART kommt noch der Zwangskontext dazu. Unsere Klient:innen kommen nicht immer freiwillig, was ja beim Streetwork ganz anders aussieht. Ich denke, dass mir meine Erfahrung auf jeden Fall hilft. Vor allem in der Suchtprävention helfen erlebte Beispiele und bekannte Geschichten immens beim Verdeutlichen von arbeitsrelevanten Inhalten.
Sucht kann ein kriminogener Faktor sein. Woran müssen wir gesamtgesellschaftlich arbeiten, damit Suchterkrankungen seltener zu Delinquenz führen?
Diese Frage eröffnet in Wahrheit ein eigenes Thema für sich. Die Tatsache, dass eine Suchterkrankung Menschen in die Delinquenz treiben kann, wird mindestens solange bestehen, wie die rechtlichen Grundlagen dazu. Wir haben im internationalen Vergleich in Österreich eine gut ausgebaute Versorgungsstruktur, sind aber noch nicht ganz da, wo der State of the Art momentan angekommen ist. Ich empfehle, sich bei Interesse einmal das Vorgehen anderer europäischer Länder anzusehen – Tschechien und die Niederlande haben einen anderen Zugang, der sicher nicht ohne Makel, aber möglicherweise ein Stück progressiver ist, als der österreichische Weg. Darüber hinaus empfehle ich die Bücher „Delinquenz und Sucht: Eine Einführung in die forensisch-psychiatrische Praxis“ von Daniel Passow und Detlef Schläfke und den Band „Soziale Arbeit und Sucht“, herausgegeben von Krebs, Mäder und Mezzera.
Welche Reaktionen löst deine Arbeit in der Suchtprävention in deinem privaten Umfeld aus? Wie entkräftest du Vorurteile gegenüber deinen Klient:innen?
Keine besonderen oder erstaunten. Die meisten meiner Freund:innen sind selbst in diesem Bereich tätig und meine Familie ist es gewohnt, dass ich beruflich auch mit herausfordernden Klient:innen befasst bin. Darüber hinaus versuche ich privat so wenig wie möglich Umgang mit Personen zu pflegen, mit denen ich solche Vorurteile ausräumen müsste.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Auf der einen Seite mit meinem Hund, der einen großen Teil meiner Freizeit mitgestaltet und viel Aufmerksamkeit, Training und Bewegung braucht und auf der anderen Seite durch meine Band – die zwar in vergleichsweise bescheidenem Rahmen aktiv ist, aber mit Konzerten in anderen Ländern, auch außerhalb der EU und regelmäßigen Proben und der Arbeit an neuen Releases, doch viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt. Ohne mein Umfeld wäre es nicht möglich, beides unter einen Hut zu bringen.
Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Danke für das Interesse! Ich hoffe, ich habe keinen Blödsinn erzählt und wenn doch, freue ich mich über eine Diskussion in Person oder über andere Wege innerhalb des Vereins.