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Sozialnetzkonferenzen

Wer in U-Haft genommen wird gilt als unschuldig. 48 Stunden nach der Festnahme muss ein Richter oder eine Richterin entscheiden, ob die Untersuchungshaft verhängt wird. Dabei ist die Informationsgrundlage zu diesem Zeitpunkt natürlich noch dürftig.

Die psychologische Forschung hat gezeigt, dass in solchen Situationen Entscheidungen maßgeblich von Vorerfahrungen, Vermutungen und Emotionen abhängen. Die Person, die entscheidet, kann dafür aber nichts, denn die Entscheidung wird unbedingt von ihr gefordert und die notwendigen Informationen sind einfach nicht verfügbar. Mag sein, dass Juristen denken, dass das nicht so viel ausmacht, denn es folgen ja weitere, viel besser begründete in kurzer Zeit, nämlich die Haftprüfungsverhandlung und irgendwann die Hauptverhandlung, bei der es dann zur umfassenden Beweisaufnahme kommt.

Nun ist aber die allererste Entscheidung auf unauffällige Weise gerade die wichtigste: ist man einmal in Haft, so verliert man die Chance, durch Taten zu zeigen, dass man die Tat bereut und man willens ist ein gesetzeskonformes ziviles Leben weiterzuführen. Man kann nicht mit Ausbildungen beginnen, sich beim Opfer entschuldigen und versuchen, den Schaden gut zu machen, seinen Job fortsetzen, seine soziale Situation verbessern. 

All diese Faktoren würden aber die Chance erhöhen, bei den Folgeentscheidungen eine mildere Behandlung zu erwirken. Bedingte Strafen oder ein Aufschub einer unbedingten Verurteilung ist wahrscheinlicher, wenn man sich in Ausbildung oder im Erwerbsleben befindet. Dazu kommt die Tendenz, über jemanden, der ohnehin in U-Haft war, eine teilbedingte Strafe zu verhängen, mit einem unbedingten Teil, der der Länge der U-Haft entspricht. Alles menschlich sehr verständlich, aber nicht gerecht.

Die Verhängung der Untersuchungshaft ist ein tiefer Einschnitt ins Leben. Die Suizidrate steigt sofort auf das zehnfache, daneben ist die Gefahr des Verlustes des Arbeitsplatzes, der Erschütterung der privaten Beziehungen und der Verlust von Ausbildungsplätzen gegeben. All das trifft sozial schwache Personen viel stärker, denn die Untersuchungshaft wird viel eher über Personen verhängt, die arbeitslos, arm, wohnungslos sind und geringe Bildung haben.

Die allererste Entscheidung, eher schlecht fundiert, ist also eine sehr folgenreiche und schwerwiegende Entscheidung, nicht selten gibt sie die Vorlage für weitere Entscheidungen in Folge ab. Die einzige Chance einzugreifen ist derzeit, mit Hilfe von Sozialnetzkonferenzen die Entscheidungsbasis für das Gericht zu erweitern und an einem Zukunftsszenario zu arbeiten. Sozialnetzkonferenzen, die schon in den ersten Tagen der Haft vom Gericht angefordert werden können, erarbeiten eine konkrete Perspektive, wie die Untersuchungshaft durch geeignete soziale Rahmenbedingungen in Freiheit ersetzt werden kann. 

Für die erste Haftprüfung ist dann das Ergebnis in der Regel schon am Tisch, Pläne für die Gestaltung der Zeit bis zur Hauptverhandlung, mit einer intensiven Betreuung durch die Bewährungshilfe und einem Plan, bei dem Verwandte, Bekannte und professionelle Dienstleister unterstützen. Wird dann enthaftet, so kann diese Person zeigen, dass sie Willens ist, sich von der kriminellen Episode (wenn sie denn gegeben war – noch gilt die Unschuldsvermutung) wieder zu lösen.

Mag. Klaus Priechenfried, Leiter NEUSTART Wien

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