Bevor renommierte Wissenschaftler wie Prof. Dr. Peter R. Neumann (Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London) und Prof. Dr. Mario Haim (Kommunikationswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München) ihre Keynotes vortrugen, präsentierte die stellvertretende Direktorin der DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst), Ing. Mag. Dr. Sylvia Mayer, die aktuellen Herausforderungen aus Sicht des österreichischen Verfassungsschutzes.
Sowohl im Phänomenbereich des islamistischen Extremismus als auch im Phänomenbereich des Rechtsextremismus ist nicht nur ein Anstieg im Bereich der Online-Radikalisierung, sondern auch ein Anstieg der online begangenen Strafhandlungen zu verzeichnen. Es wurde festgehalten, dass die Jahre der Covid-19-Pandemie als Katalysator für Online-Radikalisierung dienten.
Gefährdungspotenziale sind unter anderem das Sinken der Qualität des politischen Diskurses und eine Normalisierung von Hass und herabwürdigenden Kommentaren, die einen Nährboden für Radikalisierung darstellen können.
Gewaltaffinität vor Ideologie
Peter Neumann stellte seine vor kurzem veröffentlichte Studie zu den globalen Operationen des ISKP – Islamischer Staat der Provinz Khorasan vor und, dass die Türkei eine Schlüsselrolle bei der Expansion des ISKP spielt. Prof. Neumann zufolge ist der ISKP für 22 versuchte und durchgeführte Anschläge außerhalb ihres Stammgebietes im Zeitraum zwischen April 2023 und März 2024 verantwortlich. Die Türkei stellt dabei ein Drehkreuz für Reisen aus Syrien und Afghanistan nach Europa und umgekehrt dar.
Prof. Neumann ist in seinen Ausführungen ebenfalls auf die Zunahme virtueller Netzwerke eingegangen und auf die Erkenntnis, dass die ideologische Komponente bei Radikalisierung vor allem bei jungen Menschen sinkt. Stattdessen rückt der Fokus auf das Interesse an Gewalt bzw. Gewaltfantasien. Er hat weiters festgehalten, dass sich junge Menschen oft direkt in den Jihad radikalisieren und die Gewaltaffinität ideologische Unterschiede verdrängt.
Offene Türen für Desinformationskampagnen
Prof. Mario Haim ging in seinem Vortrag auf die Veränderungen der Öffentlichkeit durch Desinformation und Künstliche Intelligenz ein. Studienergebnisse zeigen, dass aktuell ein Drittel der Bevölkerung Österreichs Nachrichten hauptsächlich über soziale Medien und ähnliche Algorithmus-generierte Kanäle bezieht, was Effekte auf die Meinungsbildung hat. Die Machtkonzentration von einigen wenigen Mediensystemen wie Google oder Meta erschwert die Regulierung, was wiederum Desinformationskampagnen Tür und Tor öffnet und das Vertrauen in Journalismus sinken lässt. Gefährdungspotentiale sind unter anderem das Sinken der Qualität des politischen Diskurses und eine Normalisierung von Hass und herabwürdigenden Kommentaren, die einen Nährboden für Radikalisierung darstellen können.
Den Abschluss des Tages bildeten zwei Podiumsdiskussionen zu den Themenbereichen der virtuellen Lebenswelt von Jugendlichen und zu Möglichkeiten der Regulierung von sozialen Medien.
Medienkompetenz als zentrales Element der Prävention
Zusammenfassend ist zu sagen: Digitale Resilienz entsteht nicht von selbst – sie wird gestärkt, indem Menschen lernen, digitale Inhalte aktiv zu prüfen und bewusst zu regulieren.
Dazu gehört die Fähigkeit, eigene Reaktionen zu steuern, Quellen kritisch zu hinterfragen und Faktenchecks gezielt einzusetzen, um Falschinformationen zu erkennen. Ein zentrales Element ist Medienkompetenz, also zu verstehen, wie digitale Plattformen funktionieren, wie Algorithmen Inhalte sortieren und welche Interessen hinter bestimmten Botschaften stehen können.
Ebenso wichtig ist die aktive Gegenrede. Wer Hass, Desinformation oder diskriminierende Inhalte nicht unkommentiert lässt, sondern sachlich widerspricht, stärkt nicht nur die eigene digitale Haltung, sondern trägt auch zu einem gesünderen Kommunikationsklima in Online-Räumen bei. Ergänzend dazu spielt Prebunking – das frühzeitige Erklären typischer Manipulationstechniken – eine wachsende Rolle. Menschen, die solche Strategien kennen, erkennen sie schneller und sind weniger anfällig für Täuschung.
Zusammen fördern diese Fähigkeiten eine digitale Resilienz, die weit über bloßen Selbstschutz hinausgeht: Sie schafft die Grundlage für eine souveräne, reflektierte und verantwortungsbewusste Nutzung digitaler Räume.


