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„Aktuell bin ich aber sehr brav. Zu brav vielleicht.“

In ihrem Buch „Dicht“ berichtet Stefanie Sargnagel über ihr Erwachsenwerden in Wien. Dabei erzählt sie auch davon, dass sie Klientin des Vereins NEUSTART war. Wie es dazu kam, erläutert die Autorin und Kabarettistin im Interview

Im Gespräch mit Stefanie Sargnagel

Was hat dich damals zu uns geführt?

Ich bin mit Freunden gemeinsam betrunken nachts ins Möbelhaus Leiner auf der Mariahilferstraße in Wien eingestiegen. Damals war da eine große Baustelle und man konnte einfach reinklettern. Das fanden wir im ersten Moment lustig und so haben wir eine kleine Party auf den ausgestellten Betten gefeiert. Irgendwann bemerkten wir einen Security und mein damaliger Freund und ich sind wieder rausgelaufen.

Wir hatten gar nicht daran gedacht, dass wir beide Bademäntel aus dem Möbelhaus trugen und mein Freund einen großen Polster im Arm hatte, als da schon die Polizei angefahren kam. Kurz haben wir noch versucht, uns hinter Autos zu verstecken, aber das war eher sinnlos. Wir waren dann eine Nacht im Gefängnis und am nächsten Tag schafften wir es, uns halbwegs rauszureden und da wir sonst noch unbescholten waren, wurden wir an Neustart vermittelt. Den Prozess dazwischen kann ich nicht mehr genau rekonstruieren.

Dir wurde die Erbringung einer gemeinnützigen Leistung als diversionelle Maßnahme angeboten. Welche gemeinnützige Arbeit hast du verrichtet?

Mein Freund hat eine Weile beim Canisibus gearbeitet. Ich bin beim Kunstraum Sonnensegel untergekommen. Das war ein Atelier für Menschen mit psychischen Erkrankungen, an das auch ein großer Ausstellungsraum angehängt war. Da ich selbst viel gezeichnet hab, habe ich mich gleich wohl gefühlt. Der Leiter hatte auf einer Kunstuniversität studiert und mir einige Fragen zur Bewerbung beantwortet. Die KünstlerInnen waren alles interessante Leute und haben dort an ihren Gemälden gearbeitet. Hin und wieder gab es dann Vernissagen, bei denen ich geholfen habe. Ich habe dann meistens Kaffee gekocht, beim Bilderaufhängen geholfen, Brötchen geschmiert und Wein ausgeschenkt bei den Eröffnungen. Das war einer der besten Jobs, die ich je hatte.

Wie hast du den Verein NEUSTART während dieser Zeit und als Vermittler dieser gemeinnützigen Arbeit erlebt?

Ich kann mich noch erinnern, dass ich etwas Schiss hatte und dann saß da ein entspannter Sozialarbeiter, der mich nach meinen Interessen gefragt hat und mit mir gemeinsam in einem Katalog nach möglichen Arbeitsfeldern gesucht hat. Ich wollte schon damals Künstlerin werden und hab deshalb nach etwas im Kunstbereich gefragt. Bis dahin wurde noch nie von Institutionen so auf meine Vorlieben eingegangen.

Der Verein NEUSTART arbeitet nach der Maxime „Ächte die Tat, aber achte den Menschen”. Aus deiner Erfahrung heraus: Mission accomplished?

Mir wurde mit Respekt begegnet. Ich hatte jetzt meiner Empfindung nach aber auch nichts Schlimmes gemacht. Die Kunstwelt ist ja vielleicht auch die einzige Arbeitswelt, in der die Offenheit über die eigene Kleinkriminalität oder Verrücktheit kein Karrierenachteil sind.

Bist du als Jugendliche auch schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten?

Ich wurde manchmal von der Polizei beim Graskaufen erwischt oder bei Demonstrationen aufgeschrieben, aber es hat glaub ich nie zu einer Anzeige geführt. Ganz selten habe ich etwas gefladert, dafür war ich immer zu ungeschickt. Ansonsten haben sich meine kriminellen Energien in Grenzen gehalten.

Was sind deiner Meinung nach Faktoren, warum Jugendliche kriminell werden?

Das ist eine schwere Frage, da es ja viele Arten von Straftaten gibt. Diebstahl oder Drogenkonsum kann man ja noch in jugendliche Neugier einordnen und es gehört manchmal einfach dazu. Ein Teil von mir hat auch Sympathie dafür, wenn Jugendliche sich über Autoritäten hinwegsetzen. Allerdings tragen sie dann den Schaden meistens selbst. Bei Gewalt ist es wieder etwas anderes. Ganz allgemein kann man natürlich sagen, dass Menschen es immer schwerer haben, wenn sie wenig Halt und Anerkennung in einer Gemeinschaft haben.

Hast du den Eindruck, die Jugendlichen von heute sind gewaltbereiter oder krimineller als früher, als du oder deine Eltern Jugendliche waren?

Dazu gibt es sicher Studien, die aussagekräftiger sind, als meine Vermutungen. Meine Eltern sind am Land aufgewachsen und ihre Kindheitsgeschichten klingen schaurig. Es gab keine Therapien, man hat nicht über Gefühle gesprochen, der Nationalsozialismus war noch sehr präsent, die Familien waren patriarchaler, vom Dorfpfarrer wurde man blutig geschlagen, Gewalt gegen Kinder war kein Tabu, alles war brutaler auch unter den Kindern und vieles wurde unter den Teppich gekehrt. Ich habe als Jugendliche in Wien wenig Gewalt erlebt.

Wenn in den Medien von besonders schweren Straftaten von Jugendlichen berichtet wird, werden schnell Rufe nach Strafverschärfung oder einem Herabsenken der Strafmündigkeit laut. Wie stehst du dazu?

Das halte ich für falsch.

Zum Schluss noch eine Selbsteinschätzung: Wie kriminell bist du aktuell?

Die Gesetzgebung ist immer auch Ausdruck der aktuellen Politik. Wenn mir Gesetze ungerecht erscheinen, möchte ich mich ihnen auch nicht unterordnen. Ich habe eine eher antiautoritäre Einstellung. Aktuell bin ich aber sehr brav. Zu brav vielleicht.

Zur Person


Stefanie Sargnagel heißt bürgerlich Stefanie Sprengnagel und wurde 1986 in Wien geboren. Sie arbeitet als Schriftstellerin und Cartoonistin, verfasst Texte für Theaterproduktionen und spielt sich selbst in „Sargnagel – Der Film“.

Vermittlung gemeinnütziger Leistungen

Bei geringeren Straftaten (z.B. Sachbeschädigung) kann Beschuldigten von der Staatsanwaltschaft die Erbringung gemeinnütziger Leistungen als Alternative zu einer Strafverhandlung mit drohender Verurteilung (Diversion) angeboten werden.

Durch diese unentgeltliche Arbeit in ihrer Freizeit kkompensieren Straffällige ihr Fehlverhalten und bringen sich sozial ein.

Diese Arbeit für das Gemeinwohl kann auch von Gerichten oder Finanzstrafbehörden als Alternative zu einer Ersatzfreiheitsstrafe angeboten werden. Abhängig von den jeweiligen Fähigkeiten der Beschuldigten wählt NEUSTART eine geeignete gemeinnützige Einrichtung aus.

Das kann zum Beispiel ein Altersheim sein, ein Sozialmarkt, das Straßenbauamt oder eine Obdachlosenküche. Gemeinsam mit den Sozialarbeiter:innen von NEUSTART werden außerdem das Delikt und seine Folgen aufgearbeitet.

Über die/den Autor:in
Maria Renner

Maria Renner ist seit 2022 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins und ist Ansprechpartnerin für sämtliche NEUSTART Publikationen, unter anderem unseren Jahresbericht „Report“.

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