Unsichtbare Barrieren gegen Frauen im Alltag

Laut der Prävalenzstudie aus dem Jahr 2022 der Statistik Austria zum Thema Geschlechterspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich hat bereits jede dritte Frau in Österreich im Alter zwischen 15 und 74 Jahren körperliche oder sexuelle Gewalt innerhalb oder außerhalb von intimen Partnerschaften erlebt.* Diese Zahlen geben einen kleinen jedoch beunruhigenden Blick auf die Situation hinsichtlich körperlicher- und sexueller Gewalt. Doch was ist mit den weniger Sichtbaren Formen von Gewalt? Diese sind oft versteckt und schwer zu erkennen.

Das macht sie aber nicht weniger schmerzhaft und real. Genau diese unsichtbaren Barrieren, die so vielen jungen Mädchen und Frauen den Alltag erschweren sollten genauer beobachtet werden. Dabei geht es nicht um Schläge. Es geht um psychische Gewalt, gesellschaftliche Diskriminierung oder die Abwertung der Rechte und Entscheidungen von weiblichen Personen.

Im Gegensatz zu der großen Bedeutung, die der Mutterschaft beigemessen wird, wird die Wertschätzung der Care-Arbeit oft stark unterschätzt. Diese wird nach wie vor überwiegend von Frauen getragen, vor allem aufgrund der hohen Teilzeitquote und des Gender Pay Gaps – und das meist ohne finanzielle Anerkennung.

Das Drängen auf „klassische“ Rollenbilder – Zwischen Erwartung und Abhängigkeit

„Wann bekommst du denn eigentlich Kinder?“, „Warum willst du keine Kinder? Das kommt bestimmt noch!“, „Wann konzentrierst du dich auf die Familie statt auf die Karriere?“

Diese Fragen sind nur ein kleiner Teil der vielen, die ich mir selbst schon in großen Runden anhören musste. Sie tragen eine unausgesprochene Annahme in sich – dass die Rolle der Frau letztlich auf das Muttersein reduziert wird. Nicht selten führen solche Fragen zu tiefen Verunsicherungen. Man beginnt unweigerlich zu hinterfragen: Ist es in Ordnung, wenn ich keine Kinder möchte? Bin ich dann noch ‚genug‘ Frau? Was werden die anderen darüber denken? Die Entscheidung, ein Leben zu erschaffen, ist alles andere als eine leichte – sie erfordert viel Überlegung. Doch es scheint, als würde uns dieser Weg als Frauen quasi auferlegt, um in der Gesellschaft als vollwertig akzeptiert zu werden. Diese gesellschaftlich geprägte Erwartungshaltung schafft eine dieser zuvor erwähnten Barrieren.

Der Druck sich einem vorgegebenen Lebensweg zu unterwerfen kann dabei zu tiefen psychischen Belastungen führen. Dieses Drängen auf klassische Rollenbilder ist eine versteckte aber mächtige Art der Gewalt, welche seitens der Gesellschaft auf das Leben vieler Frauen wirkt. Im Gegensatz zu der großen Bedeutung, die der Mutterschaft beigemessen wird, wird die Wertschätzung der Care-Arbeit oft stark unterschätzt. Diese wird nach wie vor überwiegend von Frauen getragen, vor allem aufgrund der hohen Teilzeitquote und des Gender Pay Gaps – und das meist ohne finanzielle Anerkennung. Weder in der Pensionsvorsorge noch im Lebenslauf finden sich die Jahre der Karenz oder die damit verbundene Arbeit aufwertend wieder. Dies führt nicht nur zu einer verstärkten Abhängigkeit von den Vätern der Kinder, sondern auch zu einer erhöhten Armutsgefährdung von Alleinerziehenden. Langfristig trägt dies zur Gefahr der Altersarmut bei. Diese Realität verstärkt die gesellschaftliche Vorstellung, dass Care-Arbeit keine „richtige“ Arbeit ist – und macht sie dadurch zur „Frauenaufgabe“. Das schafft, vor allem in Paarbeziehungen, ein Machtgefüge. Daraus können sich viele Frauen nicht so leicht befreien.

Die „gut gemeinten“ Komplimente – die Begrenzung der Frau

„Für eine Frau kennst du dich aber gut mit Technik aus“, „Du bist viel zu hübsch, um dich aufzuregen“, „Du siehst heute aber nicht gut aus, bist du krank?“, „ Du schaust aus, als würdest du genug essen“ – solche Kommentare klingen auf den ersten Blick harmlos, doch sie sind keine erfundenen Beispiele. Sie stammen aus meinem eigenen Umfeld oder aus Gesprächen mit Klientinnen. Diese scheinbar „gut gemeinten“ Bemerkungen reduzieren Frauen nicht nur auf ihr Äußeres, sondern grenzen sie auch in ihrem Wesen ein. Sie verhindern, dass der Blick auf die wahre Intelligenz und Persönlichkeit einer Frau fällt – dass, was jede von uns einzigartig macht. Stattdessen wird die „Faszination Frau“ auf das für das Auge Sichtbare reduziert. Doch genau diese Kommentare werden nicht als Gewalt wahrgenommen. Sie werden mit Aussagen wie: ‚Heutzutage darf man ja gar nichts mehr sagen‘ oder ‚Früher haben wir den Bedienungen an den Po gefasst‘ abgetan. Nur weil Frauen schon immer unter patriarchalen Strukturen litten, bedeutet das nicht, dass solche Praktiken heute noch akzeptiert werden sollten. Solche Haltungen führen zu Verunsicherung, Selbsthass und einer gefährlichen Übersexualisierung, besonders bei jungen Mädchen.

My Body – your choice?

„Du musst die Pille nehmen, ich mag keine Kondome“, „Du bist Schwanger, natürlich bekommst du das Kind“, „Du hast deine Tage? Das will ich doch nicht wissen“, „Ich hätte auch gerne jeden Monat Krankenstand, weil ich ein bisschen blute“

Auch diese Kommentare sind für viele Frauen keine Seltenheit. Besonders die gesellschaftliche Stigmatisierung der weiblichen Menstruation und die Vielzahl von Meinungen darüber, die oft von Menschen kommen, die selbst nicht menstruieren, sind weit verbreitet. Die ständige Herabwürdigung des weiblichen Körpers im Hinblick auf die Periode macht für viele Frauen eine ohnehin schon belastende Zeit des Monats noch schwieriger. Unweigerlich stellt sich die Frage: Darf ich wegen der Schmerzen zu Hause bleiben? Was werden die anderen sagen? Kann ich überhaupt sagen, dass es wegen meiner Periode ist, oder muss ich mich dafür schämen? Besonders für jüngere Mädchen und Frauen ist dieses Thema oft sehr sensibel. In Gesprächen mit meinen Klientinnen wird immer wieder der Zugang zu und die Kosten für Menstruationsprodukte angesprochen, ebenso wie die „Angst“, dass andere herausfinden könnten, dass sie ihre Periode haben. Wenn man bedenkt, dass etwa die Hälfte der Weltbevölkerung mit dieser natürlichen Phase lebt, ist es schwer verständlich, warum dieses Thema mit einem solchen Stigma belegt ist. Die Diskussionen über die Bereitstellung kostenloser Menstruationsprodukte werden oft von der nicht-menstruierenden Bevölkerung dominiert. Es wird beinahe so dargestellt, als würden Frauen die Nutzung solcher Produkte bevorzugen, was natürlich nicht der Fall ist. Der eigentliche Punkt ist, dass dies keine „Forderung“ ist, die anderen Rechte entzieht, sondern eine Entlastung für jene, die menstruieren.  

Ein weiteres Thema ist die gesellschaftliche Kontrolle über Schwangerschaften. Frauen, die ein Kind nicht austragen möchten oder können, stehen unter enormem Druck – sowohl von sich selbst als auch von der Gesellschaft. Es wird impliziert, dass eine intime Entscheidung wie die Geburt eines Kindes zu einem öffentlichen Ereignis wird, zu dem jeder seine Meinung äußern kann. Doch das Recht über den eigenen Körper zu entscheiden, sollte allein bei der betroffenen Person liegen – und nicht bei der Gesellschaft.

Fazit

All diese so wichtigen Themen sind dennoch nur ein Bruchteil dessen, was viele junge Mädchen und Frauen tagtäglich im Verborgenen erleben. Es ist an der Zeit, wachsamer zu werden und die verdeckte Gewalt sichtbar zu machen.

Quellen:

*Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich S. 24

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