Bitte stell dich kurz vor. In welcher Region und seit wann engagierst du dich als ehrenamtliche Bewährungshelferin?
Ich heiße Annika Blutsch, bin 30 Jahre alt, komme aus dem Bezirk Amstetten und bin seit September 2018 bei NEUSTART.
Warum hast du dich für dieses Ehrenamt entschieden? Was gefällt dir daran am besten?
Ursprünglich war mein Berufswunsch, als Bewährungshelferin tätig zu werden. Während meines Studiums der Sozialen Arbeit erfuhr ich, dass es bereits vor dem Abschluss möglich ist, sich ehrenamtlich bei NEUSTART zu engagieren. Diese Möglichkeit hat mich sehr motiviert, und bis heute bin ich mit großer Begeisterung dabei. Besonders schätze ich die Arbeit mit den Klient:innen. Menschen mit Bewährungshilfebedarf entsprechen oft nicht den Vorurteilen, die in der Gesellschaft über sie bestehen. Es ist mir wichtig, sie unabhängig von ihrem Delikt wahrzunehmen, ihre persönliche Entwicklung zu begleiten und mitzuerleben, wie sie ihr Leben aktiv gestalten und Veränderungen umsetzen. Diese Prozesse zu unterstützen und positive Entwicklungen mitzuerleben, bereitet mir große Freude.
Und was machst du hauptberuflich?
Ich bin mittlerweile Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Da mir die Tätigkeit als Bewährungshelferin aber nach wie vor große Freude bereitet, engagiere ich mich weiterhin ehrenamtlich in diesem Bereich.
Wie ergänzen sich dein Ehrenamt und Hauptberuf gegenseitig? Profitiert das eine vielleicht sogar vom anderen?
Auf jeden Fall. In meiner psychotherapeutischen Praxis arbeite ich auch mit Menschen, die aufgrund gerichtlicher Weisungen zu mir kommen. Durch meine Erfahrung in der Bewährungshilfe habe ich einen differenzierten Zugang zu diesen Klient:innen. Mein Fokus liegt nicht nur auf dem Delikt, sondern insbesondere auf den dahinterliegenden Faktoren wie Sorgen, Ängsten und persönlichen Herausforderungen. Gleichzeitig beeinflusst mein Hauptberuf auch meine ehrenamtliche Tätigkeit. In der Bewährungshilfe geht es nicht nur um die Aufarbeitung des Delikts, sondern auch darum, die individuellen Hintergründe zu verstehen. Durch meine therapeutische Ausbildung kann ich meine Klient:innen ganzheitlicher begleiten und sie in ihrer persönlichen Entwicklung noch gezielter unterstützen.
Was sagt dein Umfeld dazu, dass du ehrenamtliche Bewährungshelferin bist? Welche Rückmeldungen bekommst du, wenn du davon erzählst?
Häufig höre ich Reaktionen wie: „Das könnte ich nicht.“ oder „Wahnsinn, dass du das machst.“ Meine Gegenfrage ist dann oft: „Warum nicht?“ – denn viele Menschen haben wenig Berührungspunkte mit diesem Bereich und können sich die Arbeit schwer vorstellen. Mein Umfeld nimmt meine Tätigkeit jedoch mit großem Interesse wahr. Besonders Personen aus anderen Berufsbereichen haben oft keinen direkten Bezug zur Bewährungshilfe, was ihre Reaktionen verständlich macht. Dennoch wird die ehrenamtliche Tätigkeit durchwegs positiv aufgenommen.
Wie viele Klient:innen begleitest du derzeit?
Aktuell betreue ich vier Klient:innen, da ich kürzlich eine Begleitung abgeschlossen habe. In der Regel betreue ich fünf Personen.
Gibt es Klient:innen-Typen mit denen du besonders gerne und konstruktiv arbeitest? Also liegen dir bestimmte demografische Gruppen oder Delikt-Arten mehr als andere?
Ja, ich arbeite besonders gerne mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die wegen Gewaltdelikten straffällig geworden sind. Zu dieser Gruppe finde ich einen guten Zugang, und es gibt zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine konstruktive Zusammenarbeit. Themen wie Ehre, Selbstbild, Umfeld, Freizeitgestaltung oder Körperarbeit lassen sich gezielt aufgreifen, und man kann oft deutliche Fortschritte beobachten. Herausfordernder empfinde ich die Arbeit mit Klient:innen, die wegen schwerwiegenden Betrugsdelikten verurteilt wurden – das liegt mir weniger.
Gibt es so etwas wie eine typische Betreuungssituation? Wie laufen die Termine mit deinen Klient:innen ab?
Ich treffe meine Klient:innen in ihrem Umfeld, also dort, wo sie sich auch wirklich aufhalten und wo es für sie nicht unangenehm ist – oft sind das Parks. Im Grunde läuft die Begleitung immer recht ähnlich ab: Nach der Kennenlernphase kommt die Deliktverarbeitung, dann die Stabilisierung, immer begleitet von einer ständigen Reflexion möglicher Risikofaktoren.
Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit Straffälligen?
Oftmals gestaltet sich die Anfangsphase schwierig, da zunächst noch kein Vertrauen besteht. Viele Klient:innen sind anfangs zurückhaltend und erzählen nicht alles – häufig aus Sorge vor möglichen Konsequenzen. Später kann ihnen das jedoch zum Verhängnis werden. Durch eine verlässliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit lässt sich diese Hürde überwinden. Es braucht Zeit, bis die Klient:innen erkennen, dass wir keine Polizei oder Richter:innen sind, sondern eine unterstützende Begleitung auf ihrem Weg der Veränderung.
Woran merkst du ganz konkret, dass deine ehrenamtliche Arbeit etwas bewirkt?
Ein deutliches Zeichen für den Erfolg der Arbeit ist, wenn die Klient:innen die Bewährungshilfe als wertvolle Ressource wahrgenommen und genutzt haben. Wenn ich sehe, dass jemand die Chance zur Veränderung ergriffen hat und die Begleitung dabei als hilfreich empfunden wurde, ist das ein großer Erfolg – sowohl für die Klient:innen als auch für mich.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job und Ehrenamt? Was machst du in deiner Freizeit?
Meine beiden Hunde sind für mich der perfekte Ausgleich. Sie geben mir genau das, was im Alltag oft zu kurz kommt: Ruhe, Bewegung und die Möglichkeit, den Kopf auszuschalten. Beim Spazierengehen kann ich mich ganz auf sie konzentrieren, was mir guttut und hilft, abzuschalten. Bei einem meiner Klienten nehme ich sie sogar manchmal mit, da er sie sehr mag – das schafft eine angenehme und entspannte Atmosphäre in unseren Gesprächen.