Bitte stell dich kurz vor.
Hallo, mein Name ist Marvin Gruber, ich bin 26 Jahre alt und wohne im zweiten Bezirk in Wien.
In welcher NEUSTART Einrichtung und welchem Bereich arbeitest Du?
Bei NEUSTART Niederösterreich und Burgenland – allerdings ist mein Arbeitsplatz in Wien, in unserem Büro in der Wehlistraße. Was die Leistungsbereiche betrifft, muss ich jetzt erstmal überlegen, weil es inzwischen so viele sind (lacht). Also: Ich mache Bewährungshilfe, Gewaltpräventionsberatung, Haftentlassenenhilfe, Dialog statt Hass, Unterstützung Antragstellung Backdoor und, gemeinsam mit einem Kollegen, die Rechtseinschulung für Ehrenamtliche.
Dein Werdegang ist besonders spannend, weil du vor deinem Wechsel ins Hauptamt schon Ehrenamtlicher warst. Wie bist du damals überhaupt zum Ehrenamt gekommen?
Ursprünglich habe ich mein Berufspraktikum bei NEUSTART absolviert, das von Februar bis Mai 2020 hätte dauern sollen und ja… dann kam Corona. Aus Sicherheitsgründen wurden, wenn ich mich richtig erinnere im März, alle Praktika beendet. Mein damaliger Praktikumsanleiter hatte aber großes Vertrauen in mich und mich gefragt, ob ich nicht als Ehrenamtlicher weitermachen möchte. Nachdem ich durch mein Praktikum schon erste Erfahrungen sammeln konnte und mein Studium der Sozialen Arbeit fast abgeschlossen hatte, hat das für beide Seiten gut gepasst.
Wie lange warst du Ehrenamtlicher und was hast du hauptberuflich gemacht?
Wie gesagt, habe ich nebenbei noch mein FH-Studium abgeschlossen. Außerdem habe ich geringfügig in der Lebensmittelproduktion gearbeitet, klassische Fließbandarbeit. Eigentlich wollte ich mich dann direkt nach meinem Abschluss als Hauptamtlicher bewerben, allerdings habe ich auch noch ein Jus-Studium begonnen und es wäre mir nebenbei nicht möglich gewesen, mehr als 25 Stunden zu arbeiten. Unter 30 Stunden war bei NEUSTART damals aber nichts ausgeschrieben und so habe ich zunächst für 15 Stunden als Jugendintensivbetreuer beim Hilfswerk begonnen. Das hat mir persönlich aber ehrlich gesagt nicht so getaugt. Ich habe einfach gemerkt, dass ich auch dort am liebsten mit straffälligen Jugendlichen gearbeitet habe. Insgesamt war ich ca. drei Jahre, von 2021 bis 2023, Ehrenamtlicher, bevor sich dann doch eine hauptamtliche Möglichkeit ergeben hat…
Und zwar?
Das war ein ziemlicher Zufall. Für eine Kollegin, die mich ebenfalls schon aus meinem Praktikum kannte, wurde eine Karenzvertretung gesucht und als meine damalige Co-Praktikumsanleiterin gefragt wurde, wen sie sich dafür vorstellen könnte und ob sie motivierte, zuverlässige Leute für den Job kennt, hat sie sofort an mich gedacht. Das hat mich sehr gefreut. Nach dem Vorstellungsgespräch habe ich dann noch am selben Nachmittag den Anruf bekommen, dass ich für 20 Stunden anfangen kann und aus der befristeten Karenzvertretung wurde dann recht schnell eine unbefristete Anstellung.
Wie war dieser Wechsel vom Ehrenamt ins Hauptamt für dich? Worin unterscheidet sich die ehrenamtliche von der hauptamtlichen Arbeit bei NEUSTART?
Die größte Umstellung war am Anfang sicher die Büroanwesenheit. Als Ehrenamtlicher war ich ja nur ein bis zwei Tage im Monat vor Ort. Das bringt mit sich, dass man sich viel mehr mit den Kolleg:innen austauschen kann. Es war einfach schön, in ein Team zu kommen, das ich schon gut von früher kannte. Ich fand das wirklich sehr angenehm zum Ankommen. Was auch anders ist, ist natürlich die Anzahl und Art der Klient:innen. Im Hauptamt hat man es – unter Anführungszeichen – mit den „härteren Brocken“ zu tun und natürlich war auch die Gewaltpräventionsberatung ganz neu für mich. Mit dem Thema häusliche Gewalt hatte ich vorher nämlich noch gar keine Berührungspunkte. Diese Dienstleistung machte zu Beginn sicher 70-80 % meiner Gesamtarbeitszeit aus, bevor nach und nach meine weiteren Leistungsbereiche dazugekommen sind. Diese Abwechslung schätze ich sehr, im Ehrenamt macht man ja „nur“ Bewährungshilfe.
Was waren die größten Herausforderungen im Zusammenhang mit dieser Veränderung? Musstest du dich erst einmal neu orientieren oder konntest du im Hauptamt nahtlos an das Ehrenamt anknüpfen?
Durch meine Erfahrung im Ehrenamt habe ich viel weniger Einarbeitungszeit gebraucht. Das war sicher auch ein Grund, warum für die Karenzvertretung an mich gedacht wurde. Ich war ja schon komplett vertraut mit unserem Dokumentationssystem, mit der technischen Infrastruktur, den Formalitäten und so weiter … das war schon ein großer Vorteil. Bei den anderen Leistungsbereichen war etwas mehr Einarbeitungszeit notwendig. Insbesondere die Gewaltpräventionsberatung war für mich eine Umstellung, das ist einfach eine ganz andere Art des Arbeitens.
Begleitest du im Hauptamt immer noch Klient:innen aus dem Ehrenamt weiter?
Ja, mir war wichtig, dass ich meine Klient:innen aus dem Ehrenamt weiterbetreuen kann. Ich glaube, das war auch für die Klient:innen gut. Inzwischen sind alle davon abgeschlossen. Insgesamt war das sehr unkompliziert und angenehm möglich.
Gibt es eigentlich so etwas wie einen typischen Arbeitstag für dich? Falls ja, wie sieht dieser aus?
Puh… (denkt nach). Also das ist wirklich komplett unterschiedlich – je nachdem, was ansteht. Manche Tage sind voll mit Terminen – Ladungen zur Gewaltpräventionsberatung, Besuchen in der Justizanstalt und, und, und, … An anderen Tagen finden Vernetzungstreffen statt oder ich widme mich der Dokumentation. Die einzige Konstante ist eigentlich der Mittwoch, wo unsere Teambesprechungen stattfinden. Ansonsten teile ich mir das recht individuell ein. Derzeit habe ich mir vorgenommen, zwei meiner drei wöchentlichen Arbeitstage für Klient:innentermine zu nutzen und mir den dritten Tag möglichst für die Dokumentation und Unvorhergesehenes freizuhalten.
Was gefällt dir an deiner Arbeit am besten?
Hmmm… viele Sachen! Allen voran die Individualität der Klient:innen und der Austausch mit meinen Kolleg:innen. Bei uns geht es wirklich sehr freundschaftlich zu, ich bin ein großer Fan vom Arbeitsklima in unserem Team und von den Festen, die wir gemeinsam feiern. Außerdem schätze ich es sehr, dass ich ein eigenes Büro habe und meine beiden Hunde mitnehmen darf, für die ich einen eigenen kleinen Bereich schaffen konnte – die haben es fast noch schöner als ich am Arbeitsplatz (lacht).
Woran merkst du konkret, dass unsere Arbeit wirkt?
Einerseits an den Rückmeldungen meiner Klient:innen andererseits aber auch am Feedback meiner Kolleg:innen. In unseren Teambesprechungen bekomme ich viel Zuspruch aber auch Vorschläge und Expertise, wenn ich bei fordernden Klient:innen gerade nicht mehr weiter weiß. Ein Indikator dafür, dass unsere Arbeit wirkt, ist sicher auch, wenn die Klient:innen in der Probezeit straffrei bleiben. Das ist schon ein Erfolg und daran werden wir ja auch gemessen. Oft sind es aber auch Kleinigkeiten… Neulich habe ich zum Beispiel ein E-Mail von einem ehemaligen Klienten der Gewaltpräventionsberatung bekommen, den seine Frau verlassen und das Kind mitgenommen hat. Er hat sich dafür bedankt, dass ich damals der einzige war, der ihn wie einen „normalen Menschen“ behandelt hat. Das hat mich schon berührt, motiviert und darin bestärkt, allen Leuten so zu begegnen, dass es angenehm ist, mit mir zu arbeiten.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Neben dem Studium und der Arbeit bleibt tatsächlich nur wenig Zeit. Der Abschluss ist allerdings schon in Sicht, ich bin gerade im letzten Abschnitt. Generell verbringe ich gerne Urlaube mit meiner Lebensgefährtin und mache viel mit meinen Hunden. Ich spiele aber auch leidenschaftlich gerne Fußball und war bei der Fußball EM der Bewährungshilfe, die wir dieses Jahr ausrichten durften, für NEUSTART dabei.
Gibt es sonst noch etwas, das du mit deinen Kolleg:innen teilen möchtest?
Ich möchte mich bei allen Kolleg:innen, vom Praktikum über das Ehrenamt bis ins Hauptamt, für ihre wichtige Arbeit bedanken, für die vielen lustigen und lehrreichen Momente, sowie den freundschaftlichen und respektvollen Umgang untereinander. Das ist erfahrungsgemäß keinesfalls selbstverständlich. Ich bin dankbar dafür, ein Teil von NEUSTART zu sein und werde dem Verein auch, egal wohin mich mein weiterer beruflicher Weg noch führt, zumindest im Ehrenamt erhalten bleiben – frei nach dem Motto: „Back to the Roots“.