Bitte stell dich kurz vor
Mein Name ist Elisabeth Webinger, ich bin 59 Jahre alt und lebe mit meinem Mann, der ebenfalls sehr lange Mitarbeiter von NEUSTART war, in der Stadt Salzburg. Unsere zwei erwachsenen Kinder leben und studieren in Wien.
In welcher NEUSTART Einrichtung und welchem Bereich arbeitest Du?
Ich bin Bewährungshelferin und SONEKO Koordinatorin (Anmerkung: Sozialnetzkonferenz). Bis Ende Dezember letzten Jahres konnte ich am Buddy Projekt als Coach mitarbeiten. Davor war ich lange Zeit Leiterin eines Teams Ehrenamtlicher und bis Sommer 2024 im elektronisch überwachten Hausarrest tätig. Seit drei Jahren bin ich in Altersteilzeit. Meine berufliche Identität ist Bewährungshelferin.
Seit wann bist du bei NEUSTART? Was waren deine vorherigen beruflichen Stationen?
Bei NEUSTART (früher noch VBSA – Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit) arbeite ich schon sehr lange, genau gesagt seit Februar 1991. Ich habe hier als Mitarbeiterin der Haftentlassenenhilfe begonnen, 2004 wechselte ich in die Geschäftsstelle für Bewährungshilfe. Davor war ich im Sozialen Dienst im, damals noch sogenannten, „Landesgerichtlichen Gefangenenhaus“ und in Jungendwohngemeinschaften tätig.
Warum hast du dich für NEUSTART als Arbeitgeber entschieden?
Ich hatte mich für die Arbeit in der Haftentlassenenhilfe entschieden. Das bedeutete damals Arbeit in einer Beratungsstelle, mit relativ klaren Strukturen. Im Verhältnis zu anderen sozialen Einrichtungen der frühen 90er Jahren war die Haftentlassenenhilfe finanziell gut abgesichert und bot viel Gestaltungsmöglichkeit für die Arbeit mit dem Klientel, das freiwillig zu uns kam. Der Anspruch, die sozial- und gesellschaftspolitische Situation für die Menschen mit Hafterfahrung zu verbessern und die engagierten, interessanten, netten Kolleg:innen waren mein Ansporn hier zu arbeiten. Nach einer Organisationsreform wurde aus verschiedenen Standorten und Organisationseinheiten des VBSA die Einrichtung NEUSTART Salzburg. Im Laufe meiner Arbeitsjahre bei NEUSTART gab es viele Phasen, in denen mir die Entwicklung der Organisation einiges an Veränderungsbereitschaft abverlangte. Besonders schwierig fand ich die Zeit von 2000 bis 2010. In Folge von Einsparungen kam es zu einer Verdichtung der Arbeit und Ausweitung der Leistungen bei gleichzeitiger Personalreduktion. Solche Veränderungen machten es mitunter schwierig, loyal zu bleiben. Heute, finde ich, ist NEUSTART wieder ein attraktiver Arbeitgeber.
Du bist unter anderem SONEKO Koordinatorin (Anm.: Sozialnetzkonferenz für Jugendliche und junge Erwachsene). Kannst du etwas über diese Dienstleistung und deine bisherigen Erfahrungen damit erzählen? Was passiert dabei? Was ist das Ziel einer solchen Konferenz? Die Grundidee der Sozialnetzkonferenz ist die Lösung der Konflikte dorthin zu geben, wo sie herkommen. Den Konflikt bzw. das Problem also in der Gruppe zu lösen. Bei NEUSTART werden U-Haft SONEKOS zur Erarbeitung gelinderer Mittel und Entlassungs-SONEKOS zur Vorbereitung der bedingten Entlassung durchgeführt. Zweck einer SONEKO ist die Aktivierung des sozialen Umfeldes der:des Inhaftierten, damit Lösungen gemeinsam erarbeitet werden können. Als SONEKO Koordinatorin kläre ich zu Beginn, ob der:die Inhaftierte die SONEKO auch wirklich machen möchte. Meist ist nötig, die Menschen in Haft zuerst einmal davon zu überzeugen, dass die wichtigen Personen echt gerne kommen. Wir wollen dabei die Scheu nehmen, jemanden einzuladen, aber nicht dazu überreden. Das Besondere an der SONEKO ist: Expert:innen sind die Klient:innen und deren Umfeld selbst und nicht die professionelle Sozialarbeit. Wir Professionist:innen bieten Ressourcen an, aber nicht die Lösung. Ziel der SONEKO ist die Erarbeitung eines Plans für die nahe Zukunft des:der Klient:in, der vom Unterstützungsnetz mitgetragen wird. Dadurch können unsere Klient:innen von den Menschen, denen sie vertrauen und die wichtig für sie sind, aktive Unterstützung erfahren. Der Plan bietet, nach der Enthaftung oder bedingten Entlassung, Struktur für unsere Klient:innen und ihr soziales Umfeld. In der SONEKO erhält die:der Jugendliche oder junge Erwachsene viel positives Feedback. Ein Herzstück ist dabei die sogenannte Ressourcenrunde, in der alle Teilnehmer:innen die positiven Seiten der:des Inhaftierten beschreiben. Dabei wird deutlich, dass – trotz der gemachten Fehler – auch das Positive gesehen wird. Wichtiges Ziel der SONEKO ist, Kontakte, die vielleicht zuletzt abgebrochen waren, zu aktivieren.
Mit welchen Schwierigkeiten seid ihr dabei konfrontiert?
In Salzburg kämpfen wir oft mit den wenigen Ressourcen für unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Bereich Wohnen, Arbeit und Ausbildung. Aufgrund von wenig niedrigschwelligen Angeboten, kann für die SONEKOS häufig kein passendes Ressourcensystem erarbeitet werden.
Was gefällt dir an der SONEKO am besten?
Rund um die SONEKOS erlebt man viel Emotionen und meist viel positive Energie. Diese positive Kraft gefällt mir am besten, denn sie vermittelt immer eine Aufbruchsstimmung. Großteils ist das familiäre Umfeld dankbar für den Rahmen und die Gesprächskultur, die wir damit schaffen. Während der Organisation und Durchführung bekommt man einen guten Einblick in das soziale Umfeld einer Person. Dabei wird deutlich, wie tragfähig oder wenig tragfähig ihr soziales Netz ist. Besonders für die weitere Betreuung in der Bewährungshilfe sind diese Erkenntnisse und Erlebnisse unterstützend.
Was sind, umgekehrt, die größten Herausforderungen daran?
Das Besondere an den SONEKOS ist das hohe Umsetzungstempo der U-Haft-SONEKOS. Meist sind sie innerhalb sehr kurzer Zeit – vom Beschluss über die Verhängung der Untersuchungshaft bis zur ersten Haftprüfung – durchzuführen. Für die Koordination ist das zeitlich immer eine Herausforderung. Termine müssen verschoben und meist sehr rasch viele Menschen erreicht werden, da wir schon vor der SONEKO mit allen Teilnehmer:innen ein Gespräch führen wollen. Je besser die Vorbereitung gelingt, desto besser können sich die Beteiligten an die Vorgaben halten. Manchmal ist viel Kreativität gefragt, um die gewünschten Teilnehmer:innen ausfindig zu machen. Einige SONEKOS können wir nicht durchführen, weil einfach kein soziales Netz vorhanden ist. Diese harte Realität ist dann echt schmerzlich. Während der SONEKOS ist immer wieder herausfordernd, dass die Person, für die die SONEKO durchgeführt wird, nicht von den Profis und dem privaten Umfeld bevormundet wird. Alle Teilnehmer:innen sollen erkennen und zulassen, dass die inhaftierte Person eigene Ziele erarbeiten muss.
Wo hast du gesehen, dass eine SONEKO wirklich etwas bewirken kann? Fällt dir ein konkretes Beispiel ein?
Wir haben viele SONEKOS durchgeführt, in denen ein Plan erarbeitet wurde, der zur Enthaftung führte, oder die:den Klient:in und ihr:sein Umfeld gut auf die bevorstehende bedingte Entlassung vorbereitete. Damit hat die SONEKO etwas bewirkt. Wird der Plan, wie im Falle der U-Haft-SONEKO, auch noch bis zur Hauptverhandlung eingehalten und entsteht aufgrund der hochfrequenten Bewährungshilfe eine echt gut Betreuungsbasis, dann bin ich richtig zufrieden.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Wichtiger Ausgleich sind Menschen, die mir nahestehen. Ich kann mich mit ihnen gut über problematische Situationen, Sichtweisen und gesellschaftliche Schieflagen austauschen. Sehr wichtig für mich ist Humor. In meiner Freizeit bin ich gerne in der Natur wandern, am Wasser und noch lieber Skifahren. Ich habe kulturelle Interessen, verreise und lese gerne. Manchmal brauche ich zum Ausgleich aber auch einfach ein triviales Fernsehprogramm.
Gibt es sonst noch etwas, das du mit deinen Kolleg:innen teilen möchtest?
Einen sehr wichtigen Anteil an meiner Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit hat unsere Leitung, die eine klare Organisationsstruktur und Rollenklarheit schafft. Besonders wichtig sind mir meine Kolleg:innen und die Leitung in der Einrichtung. Nach all den Jahren gute Sozialarbeit zu leisten gelingt nur, weil es einen gemeinsamen „Spirit“ in der Einrichtung gibt. Rückschläge und Ärgernisse, vorwiegend mit den komplexen Umwelten und mangelnden Ressourcen, sind dadurch besser wegzustecken. Positive Entwicklungen zu erleben und sich gemeinsam über gelungene Schritte in den Betreuungen zu freuen, motiviert.