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Arbeit und Fälle
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Für Opferorientierung und Wiedergutmachung |24.08.2015|
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25 Jahre Tatausgleich in Österreich | 23.11.2011
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Bewährungs- und Straffälligenhilfe in Europa |13.10.2011|
"Soziale Arbeit - Risikomanagement - Gesellschaft" lautete das
Konferenzthema einer internationalen Fachtagung in Frankfurt am Main,
die von der CEP vom 1. bis 3. Dezember 2010 veranstaltet wurde. NEUSTART Mitarbeiter Hans Jörg Schlechter war dort und berichtet.
Über die siebente Europäische Konferenz über Electronic Monitoring, die
vom 5. bis 7. Mai 2011 in Evora (Portugal) stattfand, berichtet Dr.
Christoph Koss, der im Kreis hochrangiger österreichischer Vertreter aus
Justiz und Forschung teilnahm.
Über den Besuch des Präsidenten der CEP, Marc Cerón, der sich im Mai 2011 in Wien ein Bild über die Arbeit von NEUSTART machte, berichtet NEUSTART Geschäftsführerin Mag. Karin Waidhofer. Im Rahmen dieses Besuchs gab uns Marc Cerón ein Interview, das Sie ebenfalls in der NEUSTART webpublikation finden.
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Heikle Fragen, klare Antworten |17.12.2009|
VERBRECHEN UND STRAFE
... Strafe muss sein! Nur harte Strafen schrecken ab.
Wer eingesperrt wird, hat es auch verdient.
Das Leben vieler unserer Klienten ist von Defiziten geprägt. Die Arbeit der Bewährungshilfe zeigt, dass rund drei Viertel höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, mehr als ein Drittel ist arbeitslos. Ein Großteil hat keine eigene Wohnung und ist auf Notunterkünfte oder kurzfristige Unterbringung (etwa bei Freunden) angewiesen. Ein Drittel ist suchtkrank. Und: 60 Prozent sind unter 25 Jahre alt. Gerade in jungen Jahren ist das Kriminalitätsrisiko erhöht. Handelt es sich um episodenhafte Kriminalität, hört diese mit zunehmendem Alter wieder auf. Bei Jugendlichen, wo sich kriminelles Verhalten schon verfestigt hat, helfen auch harte Strafen wenig. Wirkungsforschung zeigt, dass Kurzarrest oder Bootcamps kontraproduktiv sind. Haft beseitigt die Probleme nicht, die jemand hat – sei er jung oder auch schon älter. Viele müssen erst einmal lernen, mit ihren Defiziten umzugehen, damit sie ihr Verhalten ändern können. Begleitung durch Bewährungshilfe oder ein Anti-Gewalt-Training hilft dabei.
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MEINUNG:
- "Haben Sie zu den Themen Verbrechen und Strafe, Sicherheit und Ordnung, Täter und Opfer noch Fragen?"
- Was ist Ihre Meinung dazu? Posten Sie mit!
Jung, erwachsen, gewaltbereit |10.12.2009|
Beginn des Trainings
Wir bitten die Teilnehmer, Kolleginnen und Kollegen, ihre Schuhe auszuziehen und das Dojo zu betreten. Die Etikette beinhaltet, dass wir uns voreinander verneigen (nicht verbeugen); Schuhe, Handys, Uhren und Schmuck ablegen (Verletzungsgefahr); die „Stopp-Regel“, aufmerksam sein und das Befolgen von Anweisungen. Wir geben Zeit, uns umzusehen, um uns das Ankommen im Dojo mit allen Sinnen zu ermöglichen. Das mit vielen Tierbildern, Sprüchen und Zitaten an den Wänden gestaltete Dojo wirkt und löst innere und äußere Bewegung bei uns aus.
Arbeit mit Wahrnehmung und Wirklichkeit
Im ersten Teil beginnen wir damit, zum Thema Wahrnehmung und Fehlwahrnehmung zu arbeiten. Schnell wird klar, dass das, was ich denke, manchmal nicht einmal der Realität entspricht, niemals jedoch Abbild der gesamten (sich abbildenden) Wirklichkeit sein kann. Ein Film, durch den bewusster wird, wie ich wahrnehme und bewerte, sowie Powerpoint-„Irritationen“ verstärken diesen Effekt noch. Das löst eine Vielzahl von Emotionen und Reaktionen bei den Teilnehmern aus. Es wird klar, dass das, was wir und wie wir etwas sehen, grundlegend damit zu tun hat, wie wir fühlen und denken. Es ist auch davon auszugehen, dass Menschen, die bisher nur Gewalt als Konfliktlösungsstrategie (von Kindesbeinen an) gekannt haben, nur anders handeln können, wenn sie Alternativen zu ihrem Handeln (erfahren) lernen können.
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Jung, erwachsen, gewaltbereit (PDF, 459 KB)
MEINUNG:
- "Mit welcher Sprache erreicht man gewaltbereite junge Erwachsene?"
- "Sind Bildsprache, fernöstliche Entspannungs- und Kampftechniken taugliche Strategien gegen Gewalt im Alltag?"
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Webtipps
http://www.affektkontrolltraining.de/
http://www.ciompi.com/de/affektlogik.html
http://www.neustart.at/at/de/blog/entry/3123
Hilfe ist besser als Mitleid |29.10.2009|
„Botschafter der Zivilgesellschaft“
Die Veranstaltung unter dem Motto „Mitleid ist gut. Hilfe ist besser.“ nahm ihren Auftakt mit einem Grußwort des Geschäftsführers für Sozialarbeit der NEUSTART gemeinnützige GmbH, Georg Zwinger, dessen Dank und Reverenz an die Ehrenamtlichen sich mit dem Wunsch verband, dass ihre Rolle als „Botschafter der Zivilgesellschaft“ bald jene Anerkennung finden möge, die ihr leider noch nicht immer zugesprochen wird.
Auch der Aufsichtsratsvorsitzende des österreichischen Vereins NEUSTART, Senatspräsident Dr. Rudolf Müller, verwies in seiner anschließenden Rede auf die gesellschaftliche Bedeutung des Ehrenamts, das in Österreich seit Jahrzehnten – als integraler Bestandteil des NEUSTART Bewährungshilfekonzepts – maßgeblich dazu beiträgt, straffällig gewordenen Menschen neue Perspektiven für ein Leben ohne Kriminalität zu erschließen.
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Hilfe ist besser als Mitleid (PDF, 590 KB)
MEINUNG:
- "Soll Resozialisierung nur von staatlicher Seite erfolgen, oder ist das Prinzip der freiwilligen Mithilfe konstitutives Element einer demokratischen Gesellschaft?"
- "Wird die Arbeit von Ehrenamtlichen ausreichend geschätzt?"
- "Welchen persönlichen und gesellschaftlichen Gewinn bringt ehrenamtliche Bewährungshilfe?"
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Gedanken zur jüngsten Strafrechtsentwicklung |23.09.2009|
Nach der Aufklärung wird der Begriff der Strafe vorrangig vom Gedanken der Prävention überlagert, wobei damit begriffsgeschichtlich (prevenire = zuvorkommen) der eigentliche Strafzweck bezeichnet beziehungsweise gleichzeitig eingegrenzt wird. Die Strafrechtsentwicklung in Mitteleuropa orientiert sich auch seit der Aufklärung im Wesentlichen an diesem Begriff der Prävention; dies einerseits in Form der Spezialprävention (Ergreifung erzieherischer Maßnahmen gegenüber Straftätern, Separation von Straftätern von der übrigen Gesellschaft und dergleichen) sowie in Form der Generalprävention, ein Begriff, der von seiner Grundkonzeption im Wesentlichen dem Gedanken der Abschreckung entspringt. Unbestrittenermaßen stellt demgemäß heute der Gedanke der General- und Spezialprävention das Fundament des Strafrechts beziehungsweise überhaupt den alleinigen Strafzweck aufgeklärter Gesellschaften dar. Dass aber dieser Strafzweck, mit dem aufgrund der geltenden Rechtslage auch regelmäßig Verurteilungen begründet werden, dem an ihn gesetzten Anspruch nicht vollständig gerecht wird, wird von Personen, die mit der Rechtsprechung tagtäglich befasst sind, nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen. Durch zahllose empirische Untersuchungen ist dokumentiert, dass die abschreckende Wirkung von Strafen weitgehend Spekulation ist und durch die Strafandrohung selbst kein potenzieller Straftäter von seiner Handlung abgehalten wird. Ist demgemäß die Spezial- und Generalprävention geeignet, den Strafzweck überhaupt noch ausreichend zu beschreiben oder zu legitimieren?
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Gedanken zur jüngsten Strafrechtsentwicklung (PDF, 436 KB)
MEINUNG:
- "Ist die Spezial- und Generalprävention geeignet, den Strafzweck ausreichend zu beschreiben oder zu legitimieren?"
- "Sollte der Aussöhnungsgedanke formell ins Strafrecht aufgenommen werden?"
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Opferperspektive in der Täterarbeit |19.08.2009|
Verantwortungsübernahme ist für das „Closure“ des Opfers von zentraler Bedeutung; Closure bezeichnet ein pragmatisches Ziel, das Abschließen einer leidvollen Erfahrung. Das Erfahrene kann zwar nicht ungeschehen gemacht werden, ein (Wieder-)Anknüpfen an „normale“ Lebensumstände wird aber ermöglicht. Verantwortungsübernahme bietet auch dem Täter die Gelegenheit, mit seiner Tat ins Reine zu kommen – denn erst die Konfrontation mit der Opferperspektive ermöglicht das Durcharbeiten durch die (Schutz-)Wälle von Rechtfertigung, Verleugnen, Bagatellisieren, kurz: durch das „Neutralisierungs- oder besser Selbstberuhigungsgeschick“ des Täters.
Das Potenzial der Restorative Justice
Gelingt die Übung, sind zwei Großleistungen von Kultur und Sozialisation erreicht: die Fähigkeit zur Selbstkritik und die zur Perspektivenübernahme; sich in die Schuhe eines anderen stellen zu können. Das damit einhergehende „Nebenprodukt“ ist die Fähigkeit des Täters, etwas zurückgeben zu können, das illegitimerweise genommen wurde. Diese „Tatumkehr“ – aktives Zurückgeben statt illegitim zu nehmen – kann auch Empowerment für den Täter sein. Man mutet es ihm zu, dass er das kann und das kann durchaus als Bestätigung erlebt werden. Dass für das Opfer auch noch Closure ermöglicht wird, ist ein „Mehrwert“, der beide in eine Win-win-Situation bringen kann. Das ist das heilende Potenzial von Restorative Justice und der eigentliche Sinn der Rede, die Tat den Beteiligten zurückzugeben.
Was bedeutet die Tat für Opfer und Täter?
Egal, ob es sich um eine Kontakttat (eine Tätlichkeit etwa) oder eine Nicht-Kontakttat (einen Einbruch) handelt, ist der psychische Kern der Tat die Perversion einer (Aus-)Tauschbeziehung – von „Geben und Nehmen“. Das psychische und soziale Heil der Gesellschaft basiert auf funktionierenden Tauschbeziehungen, deren wichtigstes Attribut ihre Freiwilligkeit ist. Das gilt für Ehebeziehungen (-geschäfte) genauso wie für Handelsbeziehungen (-geschäfte). Ihre Perversion – der gewaltsame Tausch – zeichnet sich durch Grenzverletzung der „Tauschpartner“ aus, sei es in Form von Kriminalität bis hin zum Krieg. So kommt es zu Unheil – letztlich für beide Seiten (Täter und Opfer) und für die Gesellschaft (Gemeinde) als Dritte.
Für den Täter ist dies die Schuld in ihrer doppelten Bedeutung als psychische wie materielle Schuld; für das Opfer ist es das „Weh“, das die Grenzverletzung zum Trauma werden lassen kann. Für die Gemeinde (die Gesellschaft) entsteht Unheil durch Erosion ihrer Fundamente des Zusammenhalts. Aus diesen drei Quellen speist sich der weitreichende Anspruch von Restorative Justice.
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Opferperspektive in der Täterarbeit (PDF, 432 KB)
DISKUSSION:
- "Wird die Bedeutung von Restorative Justice von der Justiz unterschätzt?"
- "Für welche Delikte eignet sich Restorative Justice?"
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Drogensucht: strafbare Krankheit? |09.06.2009|
Die Realität in der Bewährungshilfe ist weitgehend eine andere. Intensität und Dauer des Substanzenkonsums der dorthin zugewiesenen Menschen sind mit dem der jugendlichen Experimentierer aus Jugendzentrumszeiten nicht vergleichbar, das inzwischen zum Suchtmittelgesetz veränderte Regelwerk wird weniger philosophisch diskutiert als vielmehr pragmatisch erörtert. Zudem macht den Klienten häufig die Anwendung anderer gesetzlicher Bestimmungen zu schaffen. Der Führerscheinentzug oder die Passsperre stellen alltagspraktisch langfristig wirksame behördliche Reaktionen dar, die auch von der Sozialarbeit berücksichtigt werden müssen. Ohne Pass wird die Eröffnung eines Bankkontos schwierig, ohne Führerschein fällt ein beträchtlicher Teil der in Frage kommenden Stellen am Arbeitsmarkt weg.
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Drogensucht: strafbare Krankheit? (PDF, 433 KB)
Tatausgleich trifft Gesetz der Berge |28.04.2009|
Säbelrasseln vor Gesprächen
Da zu den Gesprächen auch eine Russischdolmetscherin eingeladen und eine ausreichende Verständigung mit Bayram B. ohne Dolmetscherin offensichtlich wirklich nicht möglich war, versuchten meine Kollegin und ich (wir bearbeiteten diesen Fall gemeinsam) ihm verständlich zu machen, dass die Gespräche erst in zwei Tagen stattfinden würden. Bayram B. schien gestresst und auch ziemlich verärgert und ersuchte, seine Familie in Ruhe zu lassen. Im Laufe des kurzen Gesprächs, das sich bereits zu einem ersten „Säbelrasseln“ zwischen ihm und meiner Kollegin entwickelte, gab Bayram B. gleich zu verstehen, wer hier der Mann ist. So meinte er gegen Ende des Gesprächs (wohl um zu provozieren), dass jede Frau, die zuviel rede, mindestens einmal im Jahr verprügelt werden müsse, damit die Dinge wieder gerade gerückt würden.
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Tatausgleich trifft Gesetz der Berge (PDF, 453 KB)
Jugend ist keine Krankheit |24.03.2009|
Bei den von Karl Trahbüchler (ORF, Radio Niederösterreich) moderierten NEUSTART Positionen herrschte sowohl bei den Fachleuten als auch im Publikum Einigkeit darüber, dass Prävention frühzeitig ansetzen soll – schon im Kindergarten und in der Schule als dem „größten Sozialisationrahmen“. Das breite Spektrum und die auch in der öffentlichen Wahrnehmung diskutierten unterschiedlichen Sichtweisen zum Thema Jugendgewalt bestätigten sich einmal mehr. Zwischen subjektiven Wahrnehmungen und belegten Fakten tat sich eine Schere auf. Die Arbeitsrealitäten und Interpretationen von Polizei, Sozialarbeit und Forschung unterscheiden sich voneinander. Die Vertreter der Polizei berichteten einhellig, dass sie zunehmende Aggression beobachteten, dass zwar „unsere“ nicht auszunehmen seien, dass aber das „Phänomen Migrationshintergrund“ steige und Ausländer keinen Respekt vor der Polizei hätten. In der Wahrnehmung der Polizei steigen die Delikte und die Täter werden jünger. Die Kriminalität habe sich insgesamt verlagert – sie sei zielgerichteter und die Zahl reisender Täter würde zunehmen.
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Jugend ist keine Krankheit (PDF, 646 KB)
Stalking: Typen, Praxis, Tatausgleich |02.03.2009|
"Talk about Stalking. Auswirkungen der Verfolgung." Bei den NEUSTART
Positionen Oberösterreich 2008 wurde Stalking unter verschiedenen
Gesichtspunkten analysiert und - teilweise kontroversiell - diskutiert.
"Liebesbriefe auf der Windschutzscheibe des Autos, ständiges Erscheinen
am Arbeitsplatz, stundenlanges Warten im Auto vor der Wohnung, unzählige
Anrufe und SMS - und das über viele Wochen und Monate. Diese und
ähnliche Handlungen lassen niemanden kalt und können die Lebensführung
eines Stalking-Opfers massiv beeinträchtigen." So umriss Elke
Schernhammer, Leiterin von NEUSTART Wels-Ried, in ihrer Begrüßung zu den NEUSTART Positionen Oberösterreich am 23. Oktober 2008, worum es vordergründig bei Stalking geht.
Genauer führte das Dr. Jens Hoffmann vom Institut für Psychologie und
Sicherheit Aschaffenburg in seinem Fachvortrag "Psychologie und
Kommunikationsmuster bei Stalkern" aus. Er präsentierte, was er in
seiner Forschungsarbeit seit 1999 in verschiedenen Befragungen von
Stalkern und deren Opfern herausgefunden hat.
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Stalking: Typen, Praxis, Tatausgleich (PDF, 687 KB)
Zweiter Modellversuch elektronische Aufsicht |03.02.2009|
Konfrontative Täterarbeit und Opferperspektive |03.10.2008|
Wirkungsvolle (das heißt Rückfall vermeidende) Täterarbeit ist der
beste Opferschutz. Jeder Täter , der nicht mehr straffällig wird,
bedeutet in der Zukunft ein Opfer weniger.
NEUSTART ist eine
Organisation, die der Gesellschaft Hilfen und Lösungen zur Bewältigung
von Konflikten und damit Schutz vor Kriminalität und deren Folgen
bietet. Unsere Aufgabe ist es, im Rahmen der Strafjustiz Täter zu
betreuen und Opfer zu unterstützen: mit Täterarbeit, Opferhilfe und
Prävention. Zu unseren speziellen Aufgaben gehören die Bewährungshilfe,
der Tatausgleich und die Vermittlung gemeinnütziger Leistungen,
Prävention an Schulen, Haftentlassenenhilfe sowie der SAFTLADEN in
Salzburg.
Arbeit mit Tätern und Opfern
Im Tatausgleich sind sowohl Täter als auch Opfer unsere Klienten. Das
Opfer wird unterstützt, um seine Bedürfnisse artikulieren zu können und
Wiedergutmachung in jeder Hinsicht zu erfahren. Auf der anderen Seite
wird dem Täter klar vor Augen geführt, was er mit seiner Tat dem Opfer
angetan hat. Ebenso wird in der Bewährungshilfe die Auseinandersetzung
mit dem Delikt und den daraus entstandenen Folgen für die Opfer geführt;
im Anti-Gewalt-Training wird dieser Aspekt noch stärker in den
Mittelpunkt gerückt. Die Schadenswiedergutmachung spielt auch eine
wichtige Rolle.
Täterstrategien
Häufige Reaktionen unserer Klienten sind verschiedene Formen, die
Schuld anderen zuzuweisen, nur teilweise oder gar nicht Verantwortung zu
übernehmen. Täter versuchen, zu verharmlosen und zu bagatellisieren:
„Das war doch nicht so schlimm, es ist passiert, ich habe die Kontrolle
verloren.“ Oder sie verleugnen ihre Taten: „Ich kann mich nicht
erinnern, ich hatte ein Blackout.“; oder sie versuchen, Täter- und
Opferrolle umzukehren: „Sie hat mich provoziert“, „er hat es verdient“,
„er hat zuerst zugeschlagen“. Ausreden wie Blackout, Kontrollverlust und
so weiter dürfen nicht akzeptiert werden. Es ist nicht „passiert“,
sondern er oder sie hat zugeschlagen, getreten, Gewalt angewendet.
Wie ist Gewalt zu stoppen?
Wichtig ist, dass die Gewaltanwendung nicht verharmlost wird. Der
Täter muss lernen, sich mit seiner Tat und den Folgen für das Opfer
auseinanderzusetzen. Dazu ist es notwendig, dass er sich seiner Gefühle
vor und während der Tat bewusst wird. Er muss lernen, Warnsignale zu
erkennen und darauf richtig zu reagieren. Time-out und Distanzierung
sind hier Alternativen zur Eskalation der Gewalt. Sich in das Opfer
hineinzuversetzen, zu akzeptieren, sein Leid verursacht zu haben, ist
ein schwieriger, aber notwendiger Schritt. Erst wenn ein Verhalten als
falsch akzeptiert wird, kann eine echte Entschuldigung erfolgen.
Einsicht und das Erlernen von alternativen Konfliktlösungsstrategien
verringert ganz wesentlich die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung.
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Die Arbeit im Tatausgleich bei häuslicher Gewalt |13.08.2008|
Schutz vor und die Überwindung von Gewalt im
Geschlechterverhältnis ist eine Frage der Menschenrechte und der
Gewährleistung von Grundrechten. Gewalt gegen Frauen ist als „Symptom
der noch nicht eingelösten Gleichberechtigung der Geschlechter“ zu
bewerten (Stopp Häusliche Gewalt, Kampagne des Europarates, 2006-2008).
Historisches Verdienst der Frauenbewegung Mitte der Siebzigerjahre war
die öffentliche Thematisierung von Gewalt im Geschlechterverhältnis und
der Aufbau von ersten Frauenhäusern als Zufluchtsstätten zum Schutz
misshandelter Frauen und ihrer Kinder. Mit der Gründung von
Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt in den Neunzigerjahren und
neuen rechtlichen Möglichkeiten (Wegweisung) wurde die Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen auf eine neue Basis gestellt und politische
Akzeptanz darüber hergestellt, dass Gewalt gegen Frauen nicht ein
privates, sondern ein gesellschaftliches Problem ist.
In den letzten Jahren wurden in Österreich die Verbrechensopferhilfe,
der Opferschutz und der Gewaltschutz weiter ausgebaut. Eine positive
Entwicklung im Sinne der Menschenrechte und der Sicherung von
Grundrechten!
Begriffsklärung
Der Begriff „häusliche Gewalt“ (domestic violence) hat sich
international durchgesetzt und beschreibt Verletzungen der physischen
und psychischen Integrität, die in Partnerschaften beziehungsweise durch
Ex-Partnerinnen und Ex-Partner begangen werden (Kavemann 2003,
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Deutschland
2007). Dennoch werden vielfach auch die Begriffe Gewalt in
Paarbeziehungen oder ‚Beziehungsgewalt’ verwendet.
Diese Begriffe beziehen sich im Unterschied zu familiärer Gewalt (family
violence) auf Gewalt zwischen Erwachsenen. Ein Vorteil des Begriffes
„häusliche Gewalt“ ist, dass er geschlechtsneutral gefasst ist und eine
differenzierte Betrachtung der Opfererfahrungen und Täterwerdung von
Frauen und Männern ermöglicht und einseitig geschlechterpolarisierende
Vorstellungen von Frauen als Opfer und Männern als Täter relativiert.
Der Begriff „häusliche Gewalt“ ist aber auch anschlussfähig für eine
feministische Sicht von Gewalt.
Aus feministischer Perspektive wird häusliche Gewalt vor allem als
Männergewalt gegen Frauen gesehen. Die Gewalt gegen Frauen wird als
„Mittel zur Aufrechterhaltung der Geschlechterhierarchie und als
genuiner Bestandteil von Herrschaft“ verstanden (Stövesand 2005),
insofern ist die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auch ein Kampf um
die Auflösung von patriarchalen Herrschaftsstrukturen und für die
Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen.
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Die Arbeit im Tatausgleich bei häuslicher Gewalt (PDF, 111 KB)
Wiedergutmachende Gerechtigkeit - Täter- und Opferhilfe in neuer Perspektive |20.06.2008|
„Restorative Justice“ oder „Wiedergutmachende Gerechtigkeit“ setzt am Opfer und am Täter an. Diese kriminalpolitische Strömung sieht Kriminalität nicht primär und abstrakt als Schädigung der Gesellschaft, sondern als Verletzung und Schädigung konkreter Opfer. Der Rechtsfrieden soll nicht durch eine Politik des Strafens, sondern durch Versöhnung und Wiedergutmachung hergestellt werden. Damit wird das Opfer, aber auch der Täter in das Zentrum des Handelns gerückt. Beiden wird eine aktive Rolle in diesem Verfahren abverlangt. Täter wie Opfer erfahren dabei eine Aufwertung.
Dieser Beitrag versucht, Überlegungen und Denkanstösse für eine Ausweitung des Restorative-Justice-Ansatzes im Strafrecht und in der Sozialarbeit zu geben.
Opferhilfe im Trend
Einer der großen gesellschaftlichen Trends postmoderner Gesellschaften ist die Aufwertung des Opfers von Straftaten. Opfer von Straftaten sind erst spät in das Blickfeld der Kriminalpolitik gerückt. Die Täterzentriertheit des Strafrechts wie die starke Ausrichtung Sozialer Arbeit in der Straffälligenhilfe auf den Täter wurde in den letzten Jahren zu Recht kritisch hinterfragt. Lange Zeit wurde wenig auf die Nöte, Bedürfnisse und Interessen der Opfer nach dem Erleben einer Straftat eingegangen. Vorherrschend war ein kühler und wenig einfühlsamer Umgang mit Opfern im Ermittlungs- und Gerichtsverfahren. Der Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen einer möglichen Falschaussage war wichtiger als das erlebte Leid und die Interessen der Opfer am Ausgang des Strafverfahrens. Auch bei der Resozialisierung von Tätern spielten Opfer eine untergeordnete Rolle.
Relativ spät wurden Opferschutz und Opferhilfe in Österreich rechtlich verankert, ein Gewaltschutzgesetz verabschiedet und entsprechende Hilfsangebote entwickelt. Mit der Novelle zur Strafprozessordnung wurde schließlich der Begriff „Geschädigter“ durch den Begriff des Opfers ersetzt, die Stellung des Opfers im Strafverfahren gestärkt und die Opferrechte wurden verbessert. Auch in der kriminologischen Forschung wurden Opfer von Straftaten lange ausgeblendet. Ab den Siebzigerjahren gewann dann die viktimologische Perspektive an Bedeutung (Banneberg/Rössner 2005, S. 76; Schindler 2001, S. 4).
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Wiedergutmachende Gerechtigkeit (PDF, 111 KB)
Nachhaltige NPO-Management-Excellence |04.06.2008|
Die Entwicklung des Managementsystems von NEUSTART
NEUSTART bekennt sich zu
einem Umgang mit Kriminalität, der die Bearbeitung von Ursachen in den
Mittelpunkt stellt und nicht Abschreckung. Deeskalationsarbeit und
konstruktive Regelung von Konflikten anstelle von Verurteilungen und
Strafen, Präventionsarbeit bei Jugendlichen und Kindern, rasche Hilfe
für Opfer und die Begleitung und (Re)Integration von Tätern in die
Gesellschaft sind daher unsere Angebote. Unsere Dienstleistungen werden
nach klaren Qualitätsstandards erbracht und ständig weiterentwickelt.
Geeignete Personalentwicklungsmaßnahmen sichern die Verfügbarkeit des
jeweils letzten Standes allgemein anerkannten methodischen Arbeitens im
Bereich der sozialen Arbeit, der Administration und des Managements.
Wenn wir als Unternehmen unseren Anspruchsgruppen derartige Versprechen
geben, müssen wir dafür sorgen, dass sich auch jede einzelne
Mitarbeiterin und jeder einzelne Mitarbeiter an diese Versprechen
gebunden fühlt. Es ist für mich als Geschäftsführer daher ein
vorrangiges Ziel, dass sowohl im Außenverhältnis als auch im
Innenverhältnis Termin-, Kosten- und Qualitätstreue unbestrittene
Grundsätze sind.
Qualität bezieht sich somit nicht nur auf Produkteigenschaften, sondern
grundsätzlich darauf, wie Menschen arbeiten, wie sie mit Systemen,
Ressourcen und Richtlinien umgehen. Ausgehend von der Spitze des
Unternehmens ist es eine klare Führungsaufgabe, dass alle in der
Organisation daran mitwirken, dass die Qualität und damit der Nutzen für
alle unsere Anspruchsgruppen im Mittelpunkt stehen. Verbesserungen
müssen daraus folgend ständig angestrebt und erreicht werden, denn das
derzeit Notwendigste zu tun ist perspektivisch gesehen zu wenig. Man ist
nicht nur für das, was man macht, verantwortlich, sondern auch für das,
was man nicht macht. Es ist daher unser Ziel, in allen Bereichen
unserer Tätigkeit (und dazu gehört nicht zuletzt unser Führungssystem)
Vorreiter und Vordenker zu sein, wodurch wir nachhaltig erfolgreich sein
wollen.
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Nachhaltige NPO-Management-Excellence (PDF, 75 KB)
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter
http://www.contrast.at/dyn_frameset.htm?4_news_veran/veranst/nachbericht_contrast_cercle_neustart.htm~/
http://www.oeci.at/npo-kongress/
Möglichkeiten psychosozialer Intervention bei häuslicher Gewalt |13.05.2008|
Im Folgenden geht es um körperliche Gewalt von Männern gegen Frauen,
mit denen sie in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft leben oder gelebt
haben und um die Erfordernisse im Umgang damit im Tatausgleich. Anonymen
Befragungen zufolge wird zumindest jede fünfte in einer Beziehung
lebende Frau einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt. Deshalb wird im
Tatausgleich bei häuslicher Gewalt besonderes Augenmerk auf zukünftige
Sicherheit für die Frau gelegt. Oft instrumentalisieren Männer
Gewaltanwendung, um ein ins Wanken geratenes Machtverhältnis zu festigen
oder wiederherzustellen.
In Österreich gibt es zum Thema häusliche Gewalt im Tatausgleich seit
1992 praktische Erfahrungen. Lange und zum Teil auch heftige
ideologische Auseinandersetzungen mit der autonomen Frauenszene und
später der Interventionsstelle schärften die methodische Vorgangsweise.
Mittlerweilen betreffen 25 Prozent der zugewiesenen Fälle im
Erwachsenenbereich häusliche Gewalt. Das sind bei circa 6.000 jährlichen
Zuweisungen Österreich weit 1.800 Fälle.
Wie gesagt: Häusliche Gewalt ist in den allermeisten Fällen Gewalt von
Männern gegenüber (ihren) Frauen und im Folgenden wird es darum gehen.
Um im Tatausgleich nicht das Machtungleichgewicht fortzuschreiben, ist
es wichtig, die Formen der Gewalt, ihre Ursachen und Auswirkungen auf
die Opfer zu kennen. Dann werde ich auf wichtige
Interventionsmöglichkeiten eingehen.
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Möglichkeiten psychosozialer Intervention bei häuslicher Gewalt (PDF, 100 KB)
Nulltoleranz oder die Säuberung des öffentlichen Raums |19.03.2008|
Statt Armut zu bekämpfen, werden die Armen bekämpft. Mit diesem repressiven Rezept reagieren die neokonservativen Denkfabriken in den USA auf die sozialen Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Unter dem Schlagwort „Nulltoleranz" wird die soziale Unordnung, die auf Arbeitslosigkeit, prekäre Löhne und Sozialabbau zurückgeht, mit Polizei und Justiz bekämpft. Die Opfer des deregulierten Marktes werden kriminalisiert und bestraft, der Polizeistaat ersetzt den Wohlfahrtsstaat. Dieselben Köpfe, die vor Jahren mit dem Schlachtruf „weniger Staat" den Rückzug des Staates aus der Wirtschafts- und Sozialpolitik forderten und durchsetzten, rufen nun nach mehr Staat, wenn es um die Eindämmung der Folgen geht.
Nulltoleranz ist ein Schlagwort, ein Mythos für eine Politik, die in New York umgesetzt wurde und darin besteht, die Kleindelinquenz sehr hart und sehr systematisch vor der Straße zu entfernen: die Obdachlosen, die Prostituierten, die Bettler, die Straßenhändler und die Ausgeschlossenen, die als physische oder moralische Bedrohung empfunden werden. Diese „Politik der Lebensqualität", wie sie vom ehemaligen New Yorker Bürgermeister Guliani und seinem Polizeichef Bratton medial verkauft wurde, ist nichts anderes als die Klassensäuberung der Straßen, damit der öffentliche Raum für die Mittel- und Oberklassen angenehmer und auch konsumierbarer wird.
Nulltoleranz ist selektive Intoleranz gegenüber den Armen auf der Straße und gegen gewisse Verhaltensweisen der Armen, die als unerwünscht oder gefährlich gelten, und sie äußert sich in der sozialen Säuberung und Kontrolle der Armen. Es ist keinesfalls eine Intoleranz gegenüber aller Art von Kriminalität. Niemand spricht von Nulltoleranz in Zusammenhang mit Steuerhinterziehung oder politischer Korruption, sondern immer nur in Zusammenhang mit der Straßenkriminalität. Dabei ist der gesellschaftliche und soziale Schaden, der durch Wirtschaftskriminalität entsteht, ungleich höher als jener von kleinkriminellen Aktivitäten. So beträgt der Anteil von Wirtschaftsverbrechen an der Gesamtkriminalität etwa zwei Prozent: Diese zwei Prozent sind aber für 50 Prozent der Gesamtschadenssumme von Kriminalität verantwortlich.
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Nulltoleranz oder die Säuberung des öffentlichen Raums (PDF, 68 KB)
Über Täter und Opfer |19.12.2007|
Innsbruck, 1965.
Ich bin 12 Jahre alt. Es gibt ein Fernsehprogramm und das in
Schwarz-weiß. Meine Lieblingssendungen sind Lassie und Fury. Ich stamme
aus einer behüteten Mittelschichtfamilie und lebe in einer Strasse mit
schmucken Einfamilienhäusern. Wir Kinder haben uns zu einer Bande, „die
Unbarmherzigen“, zusammengeschlossen und uns mit Feiteln (je größer das
Messer, desto besser), Pfeil und Bogen, Schleudern und täuschend echten
Schreckschussrevolvern bewaffnet. Unsere ärgsten Feinde sind die
„Premstrassler“, Proleten aus der Eisenbahnersiedlung. Unsere größte
Sorge: allein den Premstrasslern in die Arme fallen, dann…
Ist mir aber passiert. Da stehen sie an der Ecke. Davonlaufen oder
weitergehen? Es kommt, wie es kommen muss. Umringt von drei, vier
Premstrasslern baut sich ihr Anführer, der gefürchtete Richi, vor mir
auf. Richi ist 14, einen Kopf größer, stärker und kündigt an, mich „in
den Boden zu stampfen, mich zu zerstören, mich jetzt zu zerlegen“. Wir
gehen aufeinander los, die ersten Schläge kann ich noch abwehren, aber
dann nimmt mich der Richi in den Griff, drückt mir die Gurgel zu, dass
mir schwarz vor den Augen wird und schleudert mich mit einem Judogriff
in hohem Bogen auf den Asphalt. Ich höre heute noch das Krachen beim
Brechen von Elle und Speiche. Wimmernd liege ich am Boden, die Sieger
marschieren triumphierend davon.
Der Kommentar von meiner Mutter: „Wenn du glaubst den Helden spielen zu
müssen, dann musst auch die Konsequenzen tragen. Der Arm wird wieder
heilen und der Richi hat das sicher auch so nicht gewollt.“ Sie werde
sich den Richi schon vorknöpfen, der soll nicht auf die Kleinen los
gehen, aber Anzeige werde sie keine machen. Dem Richi hat dann meine
Mutter die Leviten gelesen und keiner aus unserer Strasse wurde wieder
von den Premstrasslern abgepasst. Das war’s.
Ich weiß nicht, was damals das Strafausmaß für schwere Körperverletzung
war, sicher höher als heute, es war noch vor der großen
Strafrechtsreform von Broda. Heute müsste bei Anzeige ein Richter in
einem Verfahren prüfen, ob diese Körperverletzung fahrlässig oder
vorsätzlich begangen wurde. Wird die Körperverletzung als schwere
gewertet (bei mehr als 24 Tagen dauernder Gesundheitsschädigung oder
Berufsunfähigkeit), so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren zu bestrafen, bei Jugendlichen gilt der halbe Strafrahmen, also
eineinhalb Jahre. Wird die Körperverletzung als fahrlässige bewertet,
also wenn keine Verletzungsabsicht nachzuweisen ist, dann liegt der
Strafrahmen bei sechs Monaten Freiheitsstrafe oder 360 Tagsätzen
Geldstrafe, bei Jugendlichen wieder die Hälfte.
Übertragen wir mein persönliches Erlebnis als „Gewaltopfer einer
schweren Straftat“ in das Heute. Nehmen wir an, ein Zwölfjähriger aus
der Krottenbachstraße im 19. Bezirk rauft mit einer Gruppe türkischer
Jugendlicher und ihm wird ein Arm gebrochen; die Empörung wäre groß, die
Anzeige sicher. Eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen
vorsätzlicher, schwerer Körperverletzung wäre dem türkischen
Jugendlichen sicher, denn wie soll er nachweisen, dass er nicht
vorsätzlich gehandelt hat. Die Eltern würden sich dem Verfahren
wahrscheinlich auch als Privatbeteiligte anschließen und zusätzlich
müsste der Jugendliche Schmerzengeld zahlen. Im Vorstrafenregister ist
er nun als Gewalttäter erfasst. Die Eltern des Opfers schicken dieses
vielleicht in eine Opferhilfeeinrichtung oder eher, da besser gestellt,
zu einem Psychologen, um das Trauma zu bearbeiten.
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Über Täter und Opfer (PDF, 95 KB)
Festivalisierung, Fortifizierung und Feel-good-Faktor |02.10.2007|
Der Umbau der Städte
„Die Veränderungen, die unsere Landeshauptstadt in den nächsten Jahren
erleben wird, sind fulminant. Sprichwörtlich kein Stein wird auf dem
anderen bleiben“ konstatiert ein Journalist im Innsbrucker Stadtmagazin
„6020“. Und er zählt die Objekte dieses baulichen „Faceliftings“ auf:
Olympia World, Rathaus-Galerien, neue Banken-Bauten, ein projektiertes
Riesenkaufhaus in der Innenstadt, der Hauptbahnhof… Die Realisierung
dieser Mammut-Projekte verschlinge gigantische Summen, stellt er fest,
und erklärt, dass diese fast zur Gänze aus der Privatwirtschaft
finanziert würden. „Wäre Innsbruck ein Geschäft, würde es die nächsten
zehn Jahre das Schild ‚Wegen Umbau geschlossen’ tragen“, bilanziert der
Autor und benennt mit diesem Vergleich eine bedeutsame urbane
Entwicklung.
Seit ungefähr zehn Jahren lässt sich in den europäischen Großstädten ein übergreifender Trend zu einem unternehmerischen Selbstverständnis der Stadtverwaltungen beobachten. Die neue Architektur und Dekoration der „City“ adressiert ihr Angebot an ein zahlungskräftiges, erlebnishungriges Publikum und buhlt um die Gunst von Unternehmen. Eine „Festivalisierung“ des kulturellen Lebens und zeitgeistige „Möblierung“ der Zentren zielt auf eine Ästhetisierung der Städte, die sie für Touristen und gehobene Dienstleister attraktiv machen soll. Der Erreichung dieser Ziele dient ein Konzept, das die Deutsche Bahn vor einiger Zeit in eine Formel gegossen hat: „3S – Sicherheit, Sauberkeit, Service“. Die Umgestaltung großer Bahnhöfe symbolisiert insgesamt die neue, exklusive Logik: entsprechend der so genannten „BAVIS“ (=Bahnhof als Visitenkarte“)-Idee wird der ehemals öffentliche Transit-Raum (teil-)privatisiert und der kommerziellen Nutzung zugänglich gemacht. Bahnhöfe mutieren zu Einkaufszentren mit Gleisanschluss und Reisende zu potenziellen Kunden, während sozial Benachteiligte mit einem ausgeklügelten System aus technischer Überwachung und privater Security drangsaliert und vertrieben werden (sollen).
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Festivalisierung, Fortifizierung und Feel-good-Faktor (PDF, 89 KB)
Mediation mit gehörlosen Parteien |29.08.2007|
Im Augenblick leben etwa 10.000 gehörlose Personen, die auch Gebärdensprachbenützer sind, in Österreich, 80.000 in Deutschland und auch die Schweiz zählt circa 10.000 Gehörlose. Weiters sind etwa 450.000 Österreicher von einer Hörbehinderung betroffen (vgl.: Gehörlose Menschen in Österreich, Burghofer/Braun, Linz 1995, S. 11), 14 Millionen Deutsche Bundesbürger und 500.000 Schwerhörige zählt die Schweiz.
Etwas nicht akustisch wahrnehmen zu können stellen sich hörende Menschen
oftmals furchtbar vor und bemitleiden jeden, der nicht die Vögel am
Morgen oder ein gutes Radioprogramm hören kann. Auch sind viele Ärzte
der Meinung, Gehörlosigkeit wäre ausrottbar, beseitigbar, und die
Gebärdensprache nur ein System, das aus der Not heraus entstanden ist.
Mediationsinhalte
Es gibt Mediationen in den verschiedensten Bereichen. Die meisten Fälle,
die ich bisher als Mediatorin oder Dolmetscherin begleiten durfte sind
Scheidungsmediationen und private Streitfälle. Bei privaten Streitfällen
sind oft auch Handgreiflichkeiten und Gewalt im Spiel. Gehörlose lösen
im Durchschnitt ihre Auseinandersetzungen oftmals mit den Fäusten. Sie
erklären das häufig dadurch, dass sie es einfach nicht anders gelernt
haben oder plötzlich „ausklinken“ oder ihnen die Worte gefehlt haben.
Außerdem ist es bei Gehörlosen Usus, sich über Berührungen „ zu rufen“.
Auch da kommt es oft zu Missverständnissen.
Im Fall von häuslicher Gewalt ergibt sich das Problem daraus, wie die
Opfer Hilfe holen können. Es ist den Opfern zum Beispiel erst seit
kurzem möglich, via SMS ( 0800 133 133) Hilfe zu holen. Wenn man aber
bedenkt, wie viel Zeit es braucht, ein SMS oder ein Fax zu schreiben und
dass das nur möglich ist, wenn einen der Täter nicht vom Faxgerät
fernhält oder einem das Handy wegnimmt, ist es sehr schwierig, Hilfe zu
holen. Wenn die betroffene Person es dann endlich geschafft hat ergibt
sich die nächste Schwierigkeit: die Kommunikation mit der Polizei.
Mediationsablauf
Der erste Schritt einer Kontaktaufnahme passiert deshalb meistens
schriftlich. Leider ist eine reibungslose schriftliche Kommunikation mit
gehörlosen Personen nicht selbstverständlich.
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Mediation mit gehörlosen Parteien (PDF, 187 KB)
NEUSTART im Dienste von Opfern und Tätern |26.07.2007|
NEUSTART als Dachmarke
Die Österreichische Bewährungshilfe feiert ihren 50. Geburtstag.
Zeitgerecht hat sie sich ein flottes Outfit verpasst. Der neue Name NEUSTART
strahlt uns in neonfarbenem Pink entgegen und verweist auf ein
vielfältiges Portfolio an Leistungen der sozialen Arbeit im Rahmen der
Strafjustiz. Unter dem Slogan „Unsere Hilfe schafft Sicherheit“ führt NEUSTART
in ganz Österreich neben der eigentlichen Bewährungshilfe (BWH), den
Außergerichtlichen Tatausgleich (ATA), die Vermittlung gemeinnütziger
Leistungen (VGL), die freiwillige Haftentlassenenhilfe (HEH), die
Arbeitsberatung und Arbeitsvermittlung für Haftentlassene,
Anti-Gewalt-Trainings, die elektronische Aufsicht in Oberösterreich und
Opferhilfe durch.
Schon lange hilft NEUSTART
nicht mehr nur den Tätern. Längstens seit Einführung der
Konfliktregelung wird hier auch Hilfe für die Opfer von Straftaten
geleistet. Im ATA wird seit über zwanzig Jahren durch das Prinzip der
Allparteilichkeit auf die Bedürfnisse von Geschädigten und
Tatverdächtigen eingegangen, ohne eine dieser Klientengruppen zu
benachteiligen. Von der bisherigen Arbeit mit Tätern in der
Bewährungshilfe über die Arbeit mit Tätern und Opfern im Rahmen der
Konfliktregelung bis zur Begleitung und Betreuung der Opfer hat NEUSTART
jetzt die gesamte Palette an Unterstützungsmaßnahmen für alle von
Kriminalität Betroffenen. Der Name „Bewährungshilfe“ oder „Verein für
Bewährungshilfe und Soziale Arbeit“ war deshalb für die Organisation,
die sich dahinter verbarg, schon lange unpassend und missverständlich
geworden, sodass seit 2002 der Name des Vereins - auch als Zeichen für
eine grundlegende Organisationsreform - auf NEUSTART geändert wurde.
Tatsächlich – so meine These - ist der Weg von der Täter- zur Opferhilfe
eine logische Entwicklung, wenn man von einer ganzheitlichen
Sozialarbeit ausgeht. „Sozialarbeit handelt dort, wo soziale Schäden
entstehen, wo Personen oder Gruppen benachteiligt und ausgegrenzt
werden. Da Täter und Opfer vor, während und nach dem Strafverfahren
sozialen Schaden erleiden, ist dieser Bereich ein Handlungsfeld für
soziale Arbeit“ (Bernd Maelicke, Sozialarbeit und Strafjustiz, 1987).
Wir bedauern deshalb die Entscheidung von Justizministerin Dr. Berger,
die Finanzierung der Opferhilfe für NEUSTART einzustellen, sehr.
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NEUSTART im Dienste von Opfern und Tätern (PDF, 78 KB)
Ich kämpfe und bekomme immer noch eins drauf! |17.07.2007|
Willi H., 34 Jahre alt, Wohnort Wels, 22 Vorstrafen (hauptsächlich aus Gewalt- und Suchtmitteldelikten) verbüßte zuletzt drei Jahre Freiheitsstrafe. Er machte einen Entzug und Therapiebeginn in der Justizanstalt Favoriten durch und wurde acht Monate vor Strafende bedingt mit der Auflage zur Bewährungshilfe entlassen. Ein sehr motivierter Klient?
So lernte ich Willi H. als Bewährungshelfer im Jahr 2003 kennen.
Das erste Jahr in Freiheit bringt eine Reihe von Rückschlägen: Absage
des zugesicherten Arbeitsplatzes trotz Absolvierung des Staplerscheins;
Kurs und Vermittlungsmaßnahmen des AMS greifen nicht, Willi bekommt die
Vorbehalte wegen seines Vorlebens und seines äußeren Erscheinungsbildes
zu spüren; er lebt unter dem Existenzminimum aufgrund einer Pfändung
wegen Unterhaltspflicht für ein Kind, dazu kommen laufend
Geldforderungen offener Schulden von Behörden und Gläubigern. Mein
Klient ist phasenweise psychisch und körperlich wenig belastbar, ringt
mit Verzweiflung und zahlreichen Krankheitssymptomen. Die Freunde von
früher sind keine mehr, Willi lernt sich abzugrenzen und kämpft mit
Isolation. Wie soll Freizeitgestaltung ohne Geld möglich sein? Er
bekommt ein altes Mountainbike geschenkt - und benützt es bis heute fast
jedem Wetter. Sein Reisepass wird ihm für die Dauer von drei Jahren
entzogen, somit ist der Besuch eines lang ersehnten Konzerts in der
Schweiz um mühsam ersparte 200,- Euro nicht möglich.
Nach einem Jahr Betreuung, das heißt konkret kurzfristig vereinbarten
Gesprächen in Krisen, Zuhören, nach positivem Verstärken nach
bewältigten schwierigen Situationen, laufenden Reflexionen zum
Selbstwert sowie der Vergangenheit und dem Jetzt, nach Begleitung und
Interventionen bei Institutionen (in Kooperation mit der Wohnbetreuung
durch die Caritas WEGE Wels) wird sein Durchhalten belohnt.
Willi überzeugt in einem Vorstellungsgespräch gegenüber 12 Mitbewerbern
und erhält über eine Leasingfirma in einem aufstrebenden
Logistikunternehmen einen Arbeitsplatz, den er heute noch inne hat. Er
beginnt über die Arbeit seinen neuen Platz in unserer Gesellschaft zu
finden.
Beim Abschlussgespräch nach Ende der Probezeit von drei Jahren fasst
Willi in einer sehr persönlichen Reflexion zusammen: „Vor zwei Monaten
habe ich meine eigene leistbare Wohnung bezogen, ich habe eine
verantwortungsvolle Position am Arbeitsplatz und wurde von der
Logistikfirma übernommen, ich kann sparsam leben, habe die Schulden
großteils geregelt und komme meiner Unterhaltsverpflichtung durch
Lohnabtretung nach. Rückblickend bin ich sogar froh, dass ich inhaftiert
wurde! Ich habe mich selber besser kennengelernt und kann auch in
meiner Vergangenheit und allem was so passiert ist heute einen Sinn für
mich sehen. Die wichtigsten Stützen waren für mich vor allem meine
langjährige Jugendfreundin, die den Kontakt während der Haft hielt und
auch heute noch mein bester Kumpel ist, mein Körper, der das alles
ausgehalten hat, der Vertrauensvorschuss und die Anerkennung meines
Arbeitgebers und nicht zuletzt die ausdauernde Begleitung durch die
Wohnbetreuung und dich als meinen Bewährungshelfer." (Was mich als
Bewährungshelfer sehr gefreut hat).
Vor wenigen Tagen traf ich meinen ehemaligen Probanden zufällig im
Stadtzentrum. Ein weiteres Jahr ist nun vergangen, den Arbeitsplatz hält
er noch immer und auch sonst berichtet er von einem integrierten Leben.
Da ist mir sofort sein während seiner letzten Haft verstorbener Vater,
der mehr als 30 Jahre in einer Firma als Vorarbeiter gearbeitet hat,
eingefallen – vielleicht doch das heimliche Vorbild von Willi?
Man braucht ein Zuhause, um wieder Fuß fassen zu können |13.06.2007|
Seit etwas mehr als zwanzig Jahren bin ich nun in unserer Organisation, inzwischen Verein NEUSTART, beschäftigt. Im Jahr 1985 startete ich im Heim Salzburg als Wohnbetreuer, und gleichzeitig als Mitorganisator des von uns Betreuern gegründete Arbeitsprojekts WABE (Wohnen und Arbeit).
Es stellte sich bald heraus, dass diese Verbindung „Wohnen und Arbeit“
eine sehr gelungene werden sollte. Dazu kam noch, dass meine damaligen
Kollegen und ich überwiegend mit den uns anvertrauten aus der Haft
entlassenen Klienten quasi gemeinsam unter einem Dach wohnten. Ein sehr
komplexes Unternehmen, das circa acht Jahre andauerte. Konzepte wurden
verändert und schließlich blieb wieder, wie ursprünglich gestartet, das
Wohnheim, DIE WOGE, über. Die verschiedenen Entwicklungsphasen zu
schildern wäre eine längere und andere Geschichte.
Nach Schließung dieser, wie ich behaupte, vernünftigen und erfolgreichen
Einrichtung, tat sich für mich die Möglichkeit auf, in die
Haftentlassenenhilfe (HEH) zu wechseln. Eine neue und sicher
interessante Perspektive, verbunden mit einer großen Portion Neugier,
wie ich denn jetzt Betreuungen gestalten könnte. Vor allem war ich
gespannt, wie sich der Verlust der gewohnten Nähe zu meinen Klienten,
welche ab nun wegfallen würde, auf meine kommende Betreuungsaufgabe
auswirken würde. In der Regel sehe und erlebe ich meine mir inzwischen
anvertrauten Klienten einmal in der Woche oder gar nur alle vierzehn
Tage. Zwischen manch Einem von ihnen und mir besteht aber immer noch
eine gewisse Vertrautheit, hatten sie ja kürzere oder schon längere
Zeiten in der WOGE verbracht.
Konnte ich früher meinen jetzigen Kollegen mit Unterkünften behilflich
sein, komme ich jetzt selbst immer wieder in Situationen, rasch Obdach
zu organisieren. In erster Linie handelt es sich dabei um Notunterkünfte
aber natürlich auch, je nach persönlichen und wirtschaftlichen
Möglichkeiten, um längerfristigen, vernünftigen Wohnraum.
Grundsätzlich wird eine zunehmende Verschlechterung der Lebenssituation,
insbesondere eben auch der Wohnsituation von Haftentlassenen
beziehungsweise vorbestraften Menschen festgestellt.
Das nicht vorhanden sein von Unterkunft ist zweifellos eine extreme Form
von Armut. Meist haben Menschen, die aus der Haft entlassen werden,
keine finanziellen Mittel, um Mieten oder Kautionen aufzubringen. Lange
Haftstrafen, damit verbundene Entfremdung von selbständigem und
eigenverantwortlichem Wohnen, führen zusätzlich zu fast unüberwindlichen
Hürden in eine bessere Zukunft. So erfahre ich immer wieder, dass so
mancher meiner Schützlinge, mehr als ihm gut tut, zu lange Zeit in der
Gegend herumirren muss; vielleicht mal für kurz ein Bett bei Bekannten
oder Verwandten angeboten bekommt oder hin und wieder „die Wagonie“
aufsucht. Ich meine (und es ist ja bekannt), dass sich daraus ein
fataler Kreislauf ergeben kann und oft auch ergibt: Wut, Frust,
Resignation, Hoffnungslosigkeit. "Schmerzmilderung" wird getätigt in
Form von Alkohol, Medikamentenmissbrauch, Gewaltbereitschaft, Rückfall
in die Kriminalität, Gefängnis.
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Man braucht ein Zuhause, um wieder Fuß fassen zu können (PDF, 58 KB)
Der Gnom in der Klasse |03.10.2006|
Konfliktaufarbeitung unter strafunmündigen Schülern am Beispiel einer Linzer Schulklasse
Zwischen Markus (einem kleinen, schmächtigen, quirligen Burschen) und
Andreas (für sein Alter groß gewachsen und kräftig) war es bereits im
vergangenen Schuljahr immer wieder zu Streitigkeiten gekommen. Von
Seiten der Schule wurde schon die Versetzung eines der Schüler in eine
andere Klasse ins Auge gefasst. Nachdem Markus und Andreas aber
beteuerten einander aus dem Weg gehen zu wollen wurde ihrem Wunsch,
weiter in derselben Klasse zu bleiben, entsprochen. Eines Freitags in
der großen Pause kam es aufgrund von gegenseitigen Hänseleien und
Beschimpfungen wieder zu einem Streit zwischen den beiden, der in einer
Rauferei endete. Andreas hielt Markus am Boden fest, diesem rutschte das
Messer aus seiner Tasche, er ergriff es mit der Hand und bedrohte
Andreas damit.
Mitschüler schritten ein und hielten die beiden Streithähne auseinander,
entschärften so die Situation, nahmen Markus das Messer aus der Hand
und verwahrten es. Am darauf folgenden Montag wandte sich Andreas an den
Direktor und erzählte ihm von dem Vorfall. Es wurden polizeiliche
Erhebungen eingeleitet. Da beide wenige Wochen vor ihrem 14. Geburtstag
standen (also noch strafunmündig waren), entgingen sie einer
strafrechtlichen Vorfolgung nur knapp. Die Beteiligten wurden in einem
Gespräch mit Klassenvorstand, Direktor und zwei Polizisten darüber
aufgeklärt, welche strafrechtlichen Konsequenzen die Sache nach sich
gezogen hätte, wären sie schon strafmündig gewesen. Nach Einschätzung
des Klassenvorstandes waren die Sympathien der Mitschüler erheblich
ungleich zu Gunsten von Markus verteilt.
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Der Gnom in der Klasse (PDF, 92 KB)
Ohne Sie wäre ich längst tot. |09.03.2006|
Ehrenamtliche Betreuung im Entlassungsvollzug der Justizanstalt Favoriten
Bis zu seiner Einberufung zum Bundesheer verlief das Leben von Herrn L.
unauffällig. Er wuchs bei Mutter und Stiefvater auf, hatte keine
nennenswerten Konflikte mit seinem älteren Bruder und begann nach der
Pflichtschule eine Lehre als Koch bei einem Heurigen. In dieser Zeit
begann er nach Dienstschluss regelmäßig Alkohol zu trinken, schaffte
aber ohne Probleme den Lehrabschluss. Anschließend absolvierte er das
Bundesheer und kam dort zum ersten Mal mit illegalen Drogen in
Berührung. Von da an ging es rasant bergab. Herr L. experimentierte
kurze Zeit mit verschiedenen Substanzen und entwickelte innerhalb von
kürzester Zeit eine hohe Affinität zu Heroin. Er beging
Eigentumsdelikte, um seine Sucht zu finanzieren; als alles aufflog wurde
er frühzeitig vom Wehrdienst entlassen. Zwischen seinem zwanzigsten und
dreißigsten Lebensjahr verbüßte er unzählige Freiheitsstrafen.
Entzugsversuche scheiterten.
Langer Weg aus der Sucht und aus der Haft
Schließlich landete er in der Justizanstalt Favoriten, wo auch seine
Sucht behandelt wurde. In der Phase der Entlassungsvorbereitung bekam
Herr L. zusätzliche Betreuung durch eine ehrenamtlichen
Bewährungshelferin. Bei Herrn L. war die Prognose aufgrund seiner
langjährigen Suchterkrankung sehr schlecht. Die Betreuung durch die
ehrenamtliche Mitarbeiterin erfolgte zunächst nur in der Justizanstalt.
Es musste befürchtet werden, dass Herr L. den Weg zu einem externen
Termin nicht ohne Rückfall schaffen würde.
In einem ersten Schritt wurde diese Gefährdung thematisiert und
Strategien zur Selbstkontrolle erarbeitet. Herr L. zeigte ein hohes Maß
an Einsicht und die Bereitschaft, an sich zu arbeiten. Er hielt die
Termine pünktlich ein und lernte seine persönlichen und
situationsbedingten Auslöser für Rückfälle kennen. Er erarbeitete
gemeinsam mit seiner Betreuerin alternative Verhaltensweisen, um
Rückfallsituationen zu vermeiden. Im Laufe der Betreuung und noch
während der Inhaftierung fand er einen Arbeitsplatz an einer Tankstelle
und erkannte zunehmend, was an einem drogenfreien Leben anziehend und
bereichernd sein kann.
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Ohne Sie wäre ich längst tot. (PDF, 79 KB)
Die exemplarische Bedeutung des SAFTLADEN |20.01.2006|
Der SAFTLADEN als sozialer Raum
Ursprünglich wurde der SAFTLADEN für Klienten der Bewährungshilfe und
Haftentlassenhilfe als Aufenthaltsraum mir Clubbetrieb gegründet. Diese
sozialpädagogische Konzeption enthielt eine starke partizipative, auf
Selbstorganisation der Betroffenen hin ausgerichtete Komponente, die mit
einem niederschwelligen und freiwilligen Beratungs- und Hilfsangebot
verknüpft war. Der SAFTLADEN geht über die traditionellen und
gebräuchlichen Konzeptionen von Casework, Einzelfallhilfe oder
systemischer Sozialarbeit hinaus und stellt damit eine fruchtbare
Ergänzung und methodische Bereicherung in den Angeboten und dem
Methodenspektrum von NEUSTART dar.
Mit der Zunahme traditioneller sozialer Probleme (steigende Armut und
Armutsgefährdung) und wachsendem allgemeinen Bedarf an Hilfe bei der
alltäglichen Bewältigung von Normalität konnte das Leistungsangebot des
SAFTLADEN in den letzten zehn Jahren nicht mehr auf die klassische
Zielgruppe der Straffälligen beschränkt werden. Mit der Hinwendung zu
„lebensweltorientierten Hilfen zur Lebensbewältigung“ (Thiersch) rückte
die Soziale Arbeit des SAFTLADEN in die Mitte der Gesellschaft und wird -
zusammen mit anderen sozialen Dienstleistungen - zum integralen Moment
heutiger Daseinsfürsorge. Mit seinen lebensweltorientierten Angeboten
stellt der SAFTLADEN für die Stadt Salzburg und für die von Armut und
Ausgrenzung betroffenen Menschen eine wichtige soziale Infrastruktur
dar.
Das Konzept der Lebensweltorientierung von Sozialer Arbeit geht von der
Eigensinnigkeit der Lebenswirklichkeiten der Menschen aus und steht in
der Spannung von Respekt und Destruktion: Respekt gegenüber den
Eigensinnigkeiten von Lebensentwürfen (statt Anpassung und
Sozialdisziplinierung) und Destruktion als Motivation und Provokation
für Möglichkeiten und Handlungsvarianten besserer, weniger
zerstörerischer Alltagsbewältigung.
Diese Leitorientierung konkretisiert sich in der Praxis von Prävention,
Alltagsnähe, Integration, Partizipation und Dezentralisierung. In der
konkreten Sozialarbeit des SAFTLADEN werden alle diese Prinzipien
umgesetzt.
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Die exemplarische Bedeutung des SAFTLADEN (PDF, 86 KB)
Electronic Monitoring (EM) in der Schweiz |22.12.2005|
Vom 4. bis 7. April 2005 hatte der Zentralbereich Sozialarbeit von NEUSTART die Möglichkeit, die Durchführung von elektronischem „Hausarrest“ in der Schweiz kennen zu lernen. Angesichts der Debatte um übervolle Gefängnisse in Österreich und mögliche Alternativen zum Strafvollzug kam diese Studienreise gerade zum rechten Zeitpunkt.
Elektronisch überwachter Strafvollzug
In den Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Bern, Waadt, Tessin und
Genf wurde Electronic Monitoring von 1999 bis 2002 in einem
Modellversuch als Vollzugsform im Kurzstrafenbereich (Frontdoor) und als
Vollzugstufe im Langstrafenbereich (Backdoor) erfolgreich erprobt und
anschließend in den Regelbetrieb übergeführt. Seit 2005 wird Electronic
Monitoring auch im Kanton Solothurn angewandt.
Electronic Monitoring ist eine Form des Strafvollzugs und keine eigene
Sanktionsform. Vollzugsformen sind auch Halbgefangenschaft (Freigang)
und Gemeinnützige Arbeit. Durch den Föderalismus und die Zuständigkeit
der Vollzugsbehörden kommen unterschiedliche Betreuungsmodelle zur
Anwendung, wobei bestimmte Grundprinzipien und Grundregeln einheitlich
sind.
Unterschiede bestehen vor allem in der Dauer der Maßnahme. Im
Kurzstrafenbereich kommt Electronic Monitoring ab Freiheitsstrafen von
einem Monat bis zwölf Monate zur Anwendung, im Backdoorbereich
(Langstrafe) differiert die Dauer zwischen einem Monat bis zwölf Monate
ab einer Freiheitstrafe von 30 Monaten vor dem Zeitpunkt einer bedingten
Entlassung mit zwei Drittel. Im Kanton Bern kann Electronic Monitoring
auch mit Gemeinnütziger Arbeit kombiniert werden (maximal drei Monate
Gemeinnützige Arbeit, mindestens ein Monat Electronic Monitoring).
Generell geht die Tendenz in Richtung Verlängerung der Einsatzdauer von
Electronic Monitoring.
Unterschiede gibt es auch in der Intensität der begleitenden Betreuung
von sehr intensiver, nachgehender Begleitung in Basel und Bern bis zu
wenig Betreuungsquantität mit mehr technischer Kontrolle in Genf und im
Tessin.
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Electronic Monitoring (EM) in der Schweiz (PDF, 125 KB)
Verbrechensopferhilfe im Täterverein - |15.12.2005|
Täterhilfe in einer Opferschutzeinrichtung
Widerspruch oder Chance?
NEUSTART hat eine langjährige Erfahrung im Umgang mit Menschen, die für die Bewältigung einer krisenhaften Situation professionelle Unterstützung benötigen. Auch im Bereich des Außergerichtlichen Tatausgleichs werden durch das Prinzip der Allparteilichkeit die Bedürfnisse von Opfern und Tätern wahrgenommen, ohne Benachteiligung einer dieser Klientengruppe zu erzeugen.
Transparenter Umgang mit Rollen
Wollen wir diesen beiden Klientengruppen fachlich gerecht werden, müssen die Rahmenbedingungen stimmen, dies war uns als absolut notwendige Maßnahme schon vor Beginn der tatsächlichen Arbeit bewusst. Deswegen implementierten wir eine klare fachliche Trennung der Bereiche Täterhilfe und Opferhilfe, ohne aber auf die Erfahrungen und Synergien der jeweils anderen Arbeitsbereiche zu verzichten.
In der praktischen Arbeit können wir feststellen, dass für unsere
Klientinnen und Klienten keinerlei Irritation entsteht, wenn ehrlich mit
den Fakten umgegangen wird und etwaige Befürchtungen offen angesprochen
werden. Wichtig ist, dass Schutz und Sicherheit vor einem ungewollten
Zusammentreffen des Opfers mit seinem Täter gewährleistet ist. Ebenso
klar muss die unmissverständliche Parteilichkeit im direkten Umgang mit
den Klientinnen und Klienten von den Sozialarbeitern gelebt werden.
Daher hat sich NEUSTART
in einer intensiven fachlichen Auseinandersetzung zur Unvereinbarkeit
von gleichzeitiger Täter- und Opferarbeit durch ein- und denselben
Mitarbeiter entschieden.
Unsere Klientinnen und Klienten erwarten von uns, dass wir ihre Sorgen
ernst nehmen, das nötige Ressourcenwissen haben und ihnen bei der
Bewältigung in krisenhaften Situationen zur Seite stehen. Unsere Aufgabe
besteht darin, ihnen für eine gewisse Zeit unterstützend zur Seite zu
stehen, damit sie wieder in die Lage kommen, ihr Leben autonom so zu
gestalten, dass sie im Umgang mit anderen die festgelegten Grenzen
akzeptieren können und die Integrität der Menschen achten. Ein Leben mit
traumatischen Erfahrungen führt zu einer massiven Beeinträchtigung, die
aber durch Ziel gerichtete und auf den Einzelnen abgestimmte Angebote
überwunden werden kann. Dafür macht es keinen Unterschied, von welcher
Seite Menschen durch Kriminalität betroffen werden.
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Verbrechensopferhilfe im Täterverein - (PDF, 83 KB)
Blick über den Tellerrand |15.11.2005|
Anwendung von Elementen der Mediation in der Bewährungshilfebetreuung
(Auszug aus der Abschlussarbeit bei der ARGE- Bildungsmanagement)
Wenn von Mediation die Rede ist, assoziiert man bei NEUSTART als Erstes den Außergerichtlichen Tatausgleich. Die Sozialarbeiter von NEUSTART
arbeiten zum Teil in mehreren Leistungsbereichen, immer wieder kommt es
auch vor, dass Mitarbeiter von einem in einen anderen Bereich wechseln –
etwa von der Bewährungshilfe in den Außergerichtlichen Tatausgleich. In
jedem Bereich ist die methodische Vorgehensweise unterschiedlich und es
wird darauf geachtet, dass Methoden nicht vermischt werden. Mit einer
Falldarstellung zeigt Martin Arbter von NEUSTART Wien 6, dass Mediation auch in der Bewährungshilfebetreuung ihren Platz haben könnte.
Konfliktvermittlung, Allparteilichkeit und Bewährungshilfe
Bevor ich 2003 mit einer Mediationsausbildung bei der „ARGE Bildungsmanagement“ begonnen habe, wurde immer wieder der Wunsch von Klienten oder deren Angehörigen an mich herangetragen, in Konflikten zu vermitteln. Man hatte das Vertrauen in mich, dass ich die Konflikte verstehen würde und den jeweils Anderen dahingehend beeinflussen könne, sich entsprechend den eigenen Wunschvorstellungen zu ändern. Ich kam dadurch immer wieder selbst in die Konfliktsituation, zwar das Anliegen – beispielsweise der Eltern – zu verstehen, aber auf Grund meiner Zuständigkeit für meinen Klienten auch zur Loyalität gezwungen zu sein.
Es war schwierig, einen entsprechenden Weg zu finden, der mich aus der
Zwangsjacke der bedingungslosen Parteilichkeit führen könnte. Ich
versuchte Verständnis für die schwierige persönliche Situation der
Klienten bei deren Eltern zu wecken und forderte diesbezüglich Toleranz
und Geduld ein. Es zeigte sich, dass alleiniges Verständnis für beide
Seiten nicht genügte und im schlimmsten Fall alle unbefriedigt
zurückblieben. Das wiederum erschwerte die praktische Arbeit mit meinen
eigenen Klienten.
Im letzten Jahr begann ich meinen Blick auf Konflikte, mit denen meine
Klienten konfrontiert waren, zu verändern. Ich ortete Konflikte, die
eher auf der Beziehungsebene lagen und Konflikte, in denen Klienten auf
Grund ihrer persönlichen Defizite in Streit mit Vertretern von
Institutionen gerieten.
Im zweiten Fall übernahm ich die Aufgabe, in gewohnter Weise zu
vermitteln. Zuvor erarbeitete ich aber mit meinem Klienten eine
Differenzierung des Konfliktes in Einzelarbeit.
Bei Konflikten die eher auf der Beziehungsebene lagen zeigte sich, dass
manche Klienten bereit waren, über die akute Betroffenheit hinaus an den
Konflikten zu arbeiten und sich aktiv an einer Veränderung zu
beteiligen. Ich bot an, mit den Konfliktparteien einen Prozess zu
moderieren, wobei als Grundbedingung abgeklärt wurde, dass ich nicht als
parteilicher Vertreter meines Klienten fungieren könne.
Ich habe mehrmals versucht, Mediation im Rahmen der Bewährungshilfe
anzuwenden. Einen dieser Fälle beschreibe ich im folgenden Abschnitt.
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Blick über den Tellerrand (PDF, 106 KB)
Schwerpunkt: Außergerichtlicher Tatausgleich. Schnittstelle Rechtsanwalt - Konfliktregler. |24.06.2005|
Rechtsanwälte und NEUSTART sind bestrebt, ihren - in diesen Fällen - gemeinsamen Klienten bestmögliche Qualität zu bieten, ausgehend von zwei unterschiedlichen Ansätzen. Nicht zuletzt mit der Einführung des Außergerichtlichen Tatausgleichs (ATA) als Bereich der Sozialarbeit an der Schnittstelle zur Justiz konnten wertvolle Brücken zwischen Juristen und Sozialarbeitern geschlagen werden.
Im Kontakt mit Rechtsanwälten, sei es in Einzelfällen oder auf institutioneller Ebene, entwickelt sich immer wieder ein hochinteressanter und anregender Austausch. Einige Aspekte der Zusammenarbeit möchte ich im Folgenden anführen.
Außergerichtlicher Tatausgleich als „neuer“ Ansatz im Strafrecht
Praktisch wird der ATA in Österreich zwar schon seit 1985 – begonnen als regional und auf das Jugendstrafrecht beschränkter Modellversuch – durchgeführt, auch für erwachsene Tatverdächtigte ist er seit dem so genannten Diversionsgesetz verbindliches Rechtsgut, welches mit dem Jahr 2000 in Kraft trat.
Auf Juristenseite sind in ihrer Rolle als Zuweiser naturgemäß Staatsanwälte, Bezirksanwälte und Richter erste Kooperationspartner für die im ATA tätigen NEUSTART Mitarbeiter, zunehmend sind auch Rechtsanwälte in ATA-Bearbeitungen involviert, sowohl auf Beschuldigten- als auch auf Opferseite. Punktuelle Zusammenarbeit mit Anwälten hat es von Beginn an gegeben, es ist jedoch an der Zeit, die gegenseitigen Interessen breiter zu diskutieren und zu definieren. Die folgenden Ausführungen wollen dazu einen Beitrag leisten.
Welche neuen Ansätze brachte der ATA in die Rechtsanwendung?
- Das Opfer bekommt die Möglichkeit, sich aktiv am Tatausgleich zu beteiligen. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse belegen eindrucksvoll, dass Opfer sehr zufrieden mit den Angeboten des ATA sind.
- Der Beschuldigte muss als Voraussetzung für die Durchführung eines ATA mehr tun als ein Geständnis ablegen: Er übernimmt persönlich die Verantwortung für sein inkriminiertes Handeln und erhält die Chance, den Fehler in eigener Verantwortung unter Einbeziehung des Opfers wieder gut zu machen.
- Angestrebt wird keine strafrechtliche Klärung. Das Angebot des ATA umfasst die Möglichkeit zur umfassenden Bereinigung der Tat, deren Hintergründe und Folgen direkt zwischen Täter und Opfer - auf persönlicher und materieller Ebene. Besonderes Augenmerk gelegt wird dabei auf die Nachhaltigkeit von Lösungen, etwa Sicherheit des Opfers in Zukunft. Ein positiver ATA endet in der Regel mit einer umfassenden schriftlichen Vereinbarung zwischen Beschuldigtem und Geschädigtem, welche die zivilrechtlichen Aspekte mit umfasst.
Täter und Opfer ziehen an einem Strang
Viele Anwälte sind heute bereits mit den Ideen der Mediation vertraut, in der Mediation im Strafrecht wird der Unterschied zur herkömmlichen Strafrechtsanwendung besonders deutlich: Mediation bietet die Möglichkeit für Beschuldigten u n d Opfer, ihr gemeinsames Interesse zu verwirklichen: einen für alle Beteiligten negativen Vorfall gut zu bereinigen, aktiv eine Win-Win-Situation herzustellen.
Allparteiliche Konfliktregler
In diesem Verfahren kommt den Konfliktreglern von NEUSTART die Rolle zu, zwischen den Parteien zu vermitteln und sicherzustellen, dass keine der Parteien „über den Tisch gezogen“ wird. Sie achten darauf, dass Beschuldigter und Opfer ihre Entscheidungen wohlüberlegt auf Basis umfassender Information treffen, damit Vereinbarungen unter fairen Bedingungen getroffen werden.
Die Konfliktregler versorgen entweder die Beteiligten mit den erforderlichen Informationen oder weisen die Beteiligten darauf hin, wo sie diese bekommen können. Oft handelt es dabei auch um rechtliches Wissen, über welches die Sozialarbeiter von NEUSTART nicht im Detail Bescheid geben können.
Angebot des ATA ist eine umfassende Gesamtbereinigung des Konflikts, ausgehend vom persönlichen Konflikt und bis hin zur zivilrechtlich verbindlichen Vereinbarung reichend.
Die so genannte Standardmethode des ATA sieht vor, dass mit den Beteiligten zuerst einzeln Gespräche geführt werden: Thema ist der Vorfall, dessen Hintergründe, Folgen für die Zukunft, Wünsche und Vorstellungen zu dessen Bereinigung, Klärung von Informationsbedarf. Erst wenn die Beteiligten ausreichend über ihre Möglichkeiten Bescheid wissen, um eine gute Entscheidung zur Bereinigung treffen zu können, wird angeboten, dass sich Beschuldigter und Geschädigter an einem Tisch unter der Vermittlung des Konfliktreglers zusammen setzen.
Die dafür nötige Rechtsinformation für die Klienten bildet auch den Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten.
Folgende Fragen stellen sich im Zusammenhang mit der Beiziehung von Rechtsanwälten häufig: Ist bei Gericht mit einer Verurteilung zu rechnen? Wie sieht diese Sache aus strafrechtlicher Sicht aus, wenn der Beschuldigte subjektiv das Gefühl hat, unschuldig zu sein? (zum Beispiel: „Ich habe ja mit der Rauferei gar nicht angefangen.“) Welche zivilrechtlichen Ansprüche kann das Opfer geltend machen? In welcher Höhe? Ist eine Absicherung für den Fall von Spät- oder Dauerfolgen anzustreben? Bestehen die Forderungen des Geschädigten zu Recht?
Als Folge der Beratungen werden in vielen Fällen noch weitere Informationen, zum Beispiel medizinische Gutachten, eingeholt.
Auf der Grundlage aller für den Fall relevanten Informationen kann dann - oft in einem gemeinsamen Gespräch zwischen Beschuldigtem und Geschädigtem - über die Bereinigung des Vorfalls und deren Modalitäten verhandelt werden. Die Konfliktregler von NEUSTART haben den Fortgang des ATA im Überblick. Ihnen kommt eine vermittelnde und koordinierende Rolle zu und sie achten darauf, dass die Interessen von Beteiligten nicht unter den Tisch fallen.
Freiwilligkeit und geschützter Rahmen
Sowohl für den Beschuldigten als auch das Opfer ist die Teilnahme am ATA freiwillig. Alle Beteiligten können zu jedem Zeitpunkt die Zustimmung verweigern und eine Klärung bei Gericht verlangen, nur bei Opfern in Jugendstrafsachen ist die explizite Zustimmung nicht Voraussetzung für einen ATA. Dies wird der Konfliktregler dem Zuweiser berichten, welcher über die weitere Vorgangsweise entscheidet. Die Konfliktregler von NEUSTART sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, was den Beteiligten den notwendigen Schutz auch zur Besprechung persönlicher und vertraulicher Themen gewährleistet. In einem Strafverfahren haben die Konfliktregler von NEUSTART absolutes Zeugnisentschlagungsrecht. In einem Zivilverfahren müssen sie grundsätzlich nur über den Inhalt abgeschlossener Vereinbarungen aussagen.
Deshalb können im ATA Beschuldigte und Geschädigte - mit dem Ziel gütlicher Einigung vor Augen - ruhig weiter aufeinander zugehen, als sie dies in einem Gerichtsverfahren tun würden, ohne sich dadurch in eine schlechtere Position zu bringen.
Erst die von beiden unterfertigte schriftliche Vereinbarung beendet in der Regel einen gelungenen ATA, es folgt ein Ergebnisbericht der Konfliktregelung an den Zuweiser, verbunden mit einer sozialarbeiterischen Bewertung. Die weitere Entscheidung über den Fortgang des Strafverfahrens liegt beim Zuweiser.
Wir können jedoch davon ausgehen, dass eine Bereinigung der Angelegenheit durch die Beteiligten in allen Aspekten auch zu einer Einstellung des Strafverfahrens nach §90g StPO führt.
Vollmacht
Haben Beschuldigter und/oder Opfer einen Anwalt bevollmächtigt, wird dieser schriftlich vom Termin seines Mandanten beim ATA verständigt, soweit dieses Vollmachtsverhältnis bekannt ist. Da während der Bearbeitung der Akt in der Regel bei NEUSTART aufliegt, kann hier auch Einsicht genommen beziehungsweise können Ablichtungen hergestellt werden.
Parteiliche Beratung durch Anwälte
Im ATA spielt naturgemäß die rechtliche Komponente eine Rolle, guter rechtlicher Beratung kommt in einem gelungenen umfassenden Ausgleich die entsprechende Bedeutung zu. Eine rein rechtliche Abwicklung allerdings greift in der Regel zu kurz: Die persönliche Verantwortung der Beteiligten selbst für die Konfliktbereinigung ist mitentscheidend für die Nachhaltigkeit der von ihnen entwickelten Lösungen. Deshalb ist die persönliche Beteiligung wesentlich, zumindest für den Beschuldigten ist diese auch Voraussetzung für einen gelungenen ATA.
Einen Mandanten als Beteiligten im ATA gut zu beraten, ist eine herausfordernde Aufgabe für einen Anwalt: Einerseits ihn auf Rechte und Ansprüche hinzuweisen, ihm einen seriösen Spielraum für Verhandlungen zu nennen und im Auge zu behalten, dass es um materielle wie auch persönliche Bereinigung geht, erfordert viel Fingerspitzengefühl.
Es muss nicht immer der beste Rat sein, materiell das Maximum auszureizen, vor allem, wenn ein großer Teil des Problems im persönlichen Bereich liegt. Als Beispiele möchte ich lang dauernde Nachbarschaftskonflikte oder eskalierte Situationen rund um eine anstehende Scheidung anführen.
Umgekehrt wird es für nachhaltigen Frieden nicht förderlich sein, wenn eine Partei „um des lieben Friedens willen“ auf Ansprüche verzichtet und am Ende wütend ist, weil sie das Gefühl hat, übervorteilt worden zu sein.
Klienten leiden unter Verzögerungen
Auch auf dem ATA Verfahren liegt der Druck der raschen Erledigung, nicht zuletzt im Interesse der Betroffenen. Beschuldigte und Opfer haben oft Interesse an rascher Erledigung, weil subjektiv für sie der Störwert von Konflikten hoch ist und sie schon lange unter schwelenden Konflikten leiden. Natürlich brauchen gute Informationen ihre Zeit, auch hier gilt es, die richtige Balance zu finden.
Wir müssen immerhin damit rechnen, dass ein ATA am Ende doch scheitern kann. Je weiter ein dann einzuleitendes Verfahren vom tatsächlichen Vorfall entfernt ist, desto schwieriger wird das Beweisverfahren.
NEUSTART Wels hat bereits vor Jahren aus diesem Erfordernis heraus gemeinsam mit Rechtsanwälten ein Beratungsmodell entwickelt, das sich für Klienten, welche nicht vertreten sind, bewährt hat und sowohl seriöse als auch rasche rechtliche Orientierung bietet.
Kein Konkurrenzverhältnis
Je besser erfahrungsgemäß Anwälte über den ATA informiert sind, desto reibungsloser erfolgt die Bearbeitung.
Meine obigen Überlegungen sollten deutlich machen, dass sich im Sinne der Klienten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit – wie sie täglich viele Male Praxis ist – zwischen NEUSTART und Rechtsanwälten ausschließlich positiv auswirkt. ATA und Rechtsanwälte befinden sich in der Sache keinesfalls in Konkurrenz, sondern schaffen in guter Ergänzung eindeutig ein Mehr an Qualität.
Dies konnten die begonnenen Kontakte zwischen der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich und NEUSTART eindrucksvoll untermauern, in deren Rahmen auch die Idee für diesen Beitrag entstanden ist.
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Schwerpunkt: Außergerichtlicher Tatausgleich. Schnittstelle Rechtsanwalt - Konfliktregler. (PDF, 75 KB)
Schwerpunkt: Außergerichtlicher Tatausgleich. Recht des Geschädigten. |24.06.2005|
WAS STEHT MIR ALS GESCHÄDIGTEM BEI EINEM AUSSERGERICHTLICHEN TATAUSGLEICH ZU?
Welche Lösung auch immer gefunden wird: Jeder Beteiligte muss wissen, ob er allenfalls auf Recht verzichtet, das ihm zusteht.
Die bekannteste Form der Beteiligung von Rechtsanwälten bei Mediationen
im Strafrecht ist jene des rechtlichen Interessensvertreter der
Mandanten. Rechtsanwälte vertreten – ganz allgemein – die speziellen
Interessen ihrer Klienten, erklären die Rechtslage ihren Mandanten und
nehmen an Einzel - wie auch an Ausgleichsgesprächen teil.
Rechtsanwälte, die für ihre Klienten das Maximum an „Vorteilen“
herausverhandeln wollen, werden von Mediatoren im Strafrecht manchmal
als Hindernis in der Bildung einer Kommunikationsbrücke zwischen den
Parteien angesehen. Erfahrungen der Mediatoren im Strafrecht gehen
dahin, dass ein mühsam aufzubauender kooperativer Verhandlungsstil durch
einen konkurrenzierenden verdrängt wird. Dies führt unter Umständen zum
„Gerangel“ um die „Prozessautorität“ zwischen Rechtsanwälten und
Mediatoren und spitzt sich in der Frage „Mediation oder
Gerichtsverfahren“ zu. Letztlich entscheiden die Klienten.
Mediatoren im Strafrecht kennen beide Seiten der Medaille: jene
Rechtsanwälte, die einen möglichen Ausgleich kooperativ unterstützen,
aber auch jene, die sich in ihrer beruflichen Identität bei Gericht
sicherer fühlen.
INTERESSENS-RAUM VERSUS RECHTS-RAUM
Mediatoren im Strafrecht meinen, Rechtsanwälte müssten in ihren
Verhandlungen in einem Mediationsprozess darauf achten, sich für ein
eventuelles Gerichtsverfahren positionsfähig zu halten. Dies vermindere
empfindlich die Chancen, den Gesetzesraum zu verlassen und den
Interessenraum zu betreten. Ohne die Problematik zu negieren, ist zu
bedenken, dass die Existenz einer zusätzlichen juridischen Kompetenz im
Mediationsprozess auch Chancen in sich bergen kann. Außerdem sind die
rechtlichen Interessenvertreter von Klienten in die Mediation – in
welcher Form auch immer - einzubeziehen.
Nach wie vor wird es in erster Linie an den Mediatoren liegen, den
Mediationsprozess so zu steuern, das genügend Raum und Zeit für die
selbstständige, eigenverantwortliche und konstruktive Auseinandersetzung
der Parteien mit ihrem Konflikt bleibt.
KLÄRUNG DER ROLLEN UND RECHTSKENNTNIS
Sofern von Klienten Rechtsanwälte oder aber auch Vertrauenspersonen
beigezogen werden, sollte seitens der Mediatoren das „
Mediative-Setting“ klar strukturiert und transparent gemacht werden. Wer
welche Rolle im Zuge einer Mediation einnimmt, ist mit den Beteiligten
zu klären. Aus dem Erfahrungsbereich des ATA sind wenig Probleme
bekannt, dass Rechtsanwälte ihre Rolle im Mediativen-Setting nicht
akzeptieren. Die Bereinigung des Konfliktes ist, mit Unterstützung der
Mediatoren, noch immer unmittelbare Aufgabe der Klienten. Klar ist
allerdings auch, dass Rechtsanwälte zur Bereinigung der materiellen
Dimension des Konfliktes letztlich beizuziehen sind.
In der Mediation im Strafrecht ist das Wissen über die Rechtslage
zwingend, da sie Teil der Realität ist und selbst verantwortete
Entscheidungen die Kenntnis aller entscheidungsrelevanten Umstände
voraussetzt.
Welche Lösung auch immer gefunden wird, jeder Beteiligte muss wissen, ob er allenfalls auf ihm zustehendes Recht verzichtet.
KOOPERATION DER BERUFSGRUPPEN
Im Dienleistungsreservoir von Rechtsanwälten nimmt neben dem
„forensischen Streitanwalt“ die Rolle des „Beratungsfachmann“ an
Bedeutung zu. Häufig werden Rechtsanwälte aufgesucht, um Prozesse zu
vermeiden und nicht, um solche zu führen. Die Beratung von Mandanten
sollte daher auch dahingehend sein, dass die Lösung von Rechtsproblemen
unter Umständen auch außergerichtlich, ohne die Inanspruchnahme von
Gerichten, erzielt werden kann.
Dieser Weg, nämlich Konfliktbehandlung ohne gerichtliche Entscheidung,
erfordert ein erweitertes Berufsverständnis der Rechtsanwälte. Es geht
eben nicht mehr darum, Standpunkte durchzusetzen, sondern gegensätzliche
Interessen zu koordinieren.
Exkurs: „ Der Anwalt als Mediator“
Rechtsanwälte erweitern zunehmend ihre Dienstleistungen als Mediatoren.
Greifen Rechtsanwälte zum Mediatorenhut und die angestrebte Mediation
scheitert, wird es für den betreffenden Rechtsanwalt allerdings
schwierig, einen betroffenen Klienten dennoch rechtsfreundlich bei
Gericht zu vertreten.
EINE NEUE ROLLE DER RECHTSANWÄLTE BEIM AUSSERGERICHTLICHEN TATAUSGLEICH WIEN
Der Anspruch der Qualitätssteigerung beim ATA Wien im
(zivil-)rechtlichen Bereich und die Ermöglichung eines leichteren
Zugangs der Klienten zu juristischen Informationen waren Gründe, mit
Rechtsanwälten in einem engeren Sinn zu kooperieren. Bei der neuen
Aufgabe der Rechtsanwälte beim ATA handelt es sich darum, ohne im
Mediationsprozess selbst tätig zu werden, (zivil-) rechtliche Fragen der
Klienten zu objektivieren und zu klären.
Ausgehend vom Bedarf eines hohen Informationsniveaus für eine
nachhaltige, ausgereifte Konfliktlösung, ist Fachwissen in der Mediation
unentbehrlich. Kommt dieses nicht von den Konfliktparteien, was bei
juristischen Problemen selten der Fall ist (außer der Klient ist selbst
Jurist, was auch fallweise vorkommt), so ist es für die Qualität des
Mediationsprozesses förderlich, einen außen stehenden Experten zur
Klärung spezifischer Probleme beiziehen zu können.
DIE RECHTSAUSKUNFT
Diese Auskunft / Information ist im konkreten Fall weder
Parteienvertretung noch Konfliktberatung. Der Rechtsanwalt ist neben dem
Mediator im Strafrecht eine zweite, unabhängige und unparteiliche
Instanz, die auf einer anderen Ebene eine Objektivierung der Rechtslage
ermöglicht und so zur Schaffung neutraler Kriterien beiträgt. Auf diesem
Weg sollen die Parteien zu einer realistische(re)n Einschätzung der
eigenen Position und somit zu einer guten Grundlage für eine Einigung im
Mediationsverfahren kommen.
Gefragt ist daher die fundierte einzelfallgerichtete Information, die
den Betroffenen dazu bemächtigt, eine eigenverantwortliche Lösung im
Sinne eines „empowerment-approach“ zu finden.
Da durch die Rechtsauskunft weder eine Parteienvertretung, noch eine
Klientenberatung erfolgt, also das Fachwissen eine Objektivierung der
Rechtslage mit sich bringt, ist hier eher von einer Parallele zur Rolle
des Sachverständigen auszugehen. So wie ein amtsärztlicher Gutachter zur
Klärung medizinischer Fragen beiträgt, so informiert der Rechtsanwalt
über juridische Belange und trägt so – indem er die Grundlage zum Finden
einer Lösung liefert – zur Entscheidungsfindung bei.
RECHTLICHER INFORMATIONSBEDARF DER KLIENTEN
Informationsbedarf der Klienten besteht vor allem in der Frage nach
einem etwa zu zahlenden Schadensersatz im Zivilverfahren (
Schmerzensgeld, Verdienstentgang,...). Aber auch etwa aufkommende
Prozesskosten, die Möglichkeit einer Verfahrenshilfe und eine vorläufige
Prüfung der Prozessaussichten an sich, haben in aller Regel einen nicht
zu unterschätzenden Einfluss auf eine weitere Fallbearbeitung. Bei
komplexen Fällen, in denen eine eingehendere Beratung indiziert wäre,
wird vom Rechtsanwalt eine Auslagerung empfohlen, da andernfalls der
Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten gesprengt werden würde.
Seriöserweise kommt eine „Weitervertretung“ durch den beratenden
Rechtsanwalt nicht in Betracht.
MODUS DER KOOPERATION
Der Rechtsanwalt kann erst nach Bereinigung emotionaler Aspekte tätig
werden, da ansonsten die Gefahr der Vermischung von emotionalen und
rechtlichen Aspekten gegeben sein könnte. Die rechtsanwältliche
Information kann von Geschädigten und/oder Verdächtigen (getrennt oder
zusammen) in Anspruch genommen werden. Im Rahmen der Rechtsauskunft
erfolgt keine Klärung der Schuldfrage. Ein vorstrukturierter
Informationsaustausch zwischen Mediatoren und Rechtsanwälten ist
institutionalisiert. Der Mediator klärt vorab, ob der Klient bereits
durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Die Gespräche Rechtsanwalt und
Klient erfolgen nicht unmittelbar nach dem des Mediators. Der Klient
soll Zeit für eine Überlegungsphase haben.
Seit 2001, nach einem einjährigen Modellversuch, sind zwölf Rechtsanwälte, in einem vierzehntägigen Rhythmus, je zwei Stunden in der Rechtsauskunft des Außergerichtlichen Tatausgleichs Wien tätig. Die Kosten dafür werden vom Verein NEUSTART übernommen; den Klienten erwachsen bei Inan-spruchnahme der Rechtsauskunft keine Kosten. Wer mehr dazu in Erfahrung bringen möchte, kann auf eine Publikation von Dr. Judith Stummer zurückgreifen.
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Schwerpunkt: Außergerichtlicher Tatausgleich. Recht des Geschädigten. (PDF, 70 KB)
Superdrogen, Lebenslinien: Wege aus der Sucht |26.05.2005|
Wie müsste eine „Superdroge“ beschaffen sein? Drei Forscherteams stellen sich in Arbeitsgruppen der Aufgabe, diese zu erfinden. Ihre Erkenntnisse: Die neue Droge sollte den Alltag erträglicher machen. Sie darf nicht abhängig machen und keine negativen Nebenwirkungen haben. Bei der Aufarbeitung ihrer „Forschung“ erkennen die Teilnehmer: Die bisher konsumierten Drogen sind nicht „brauchbar“ – sie haben allesamt negative Nebenwirkungen. Die gewünschten positiven Wirkungen gibt es freilich auch ohne Chemie: mit den persönlichen Ressourcen, die die Gruppenmitglieder bei sich selbst entdecken.
260 Klienten seit März 2002
„Superdroge“ ist – neben vielen anderen Übungen - Teil des
Suchtpräventionsprojektes „Way out“, das im März 2002 in Kärnten
startete und bei dem bis März 2005 bisher 260 Jugendliche betreut
wurden. Hauptziele sind die Abstinenz der Klientinnen und Klienten von
illegalen Drogen und ein kontrollierter Umgang mit legalen Suchtmitteln.
Riskanter Suchtmittelkonsum soll reduziert und drogenbezogene Probleme
sollen vermieden werden. „Way out“ will auch die sozialen Kompetenzen
der Teilnehmer verbessern. Sie sollen lernen, Belastungen besser zu
bewältigen und das eigene Konsumverhalten zu reflektieren.
Zum Einsatz kommen dabei Methoden der Einzel- und Gruppenbetreuung, die dem langjährigen Erfahrungsschatz des Vereins NEUSTART in der Bewährungshilfe entstammen.
Einzel- und Gruppenbetreuung
Die Einzelberatung erstreckt sich in der Regel über sechs Monate. In
dieser Betreuungszeit erfolgen zwischen fünf und 15 Termine mit den
Inhalten „Beratung und Information“, „Kontrolle“ und
„Krisenintervention“. Normalerweise finden die Einzelgespräche bei NEUSTART Klagenfurt statt. Bei sehr großen Distanzen sind Hausbesuche für die Betreuung vorgesehen.
Die Betreuung in Gruppen von sechs bis zwölf TeilnehmerInnen basiert auf der so genannten TZI-Methode, der themenzentrierten Interaktion. Die zehn bis zwölf Termine dauern jeweils zwei Stunden und werden von zwei Gruppenleiterinnen betreut. Zusätzlich finden Vor- und Nachgespräche mit jedem Teilnehmer statt.
Einschnitte in der Lebenslinie
Suchtprävention ist bei den Übungen und Spielen in der Gruppe das
zentrale Thema: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Suchtverhalten
steht im Vordergrund; die Teilnehmer werden über Substanzen und die
Rechtslage aufgeklärt. Ebenso werden jedoch auch individuelle, aktuelle
Probleme bearbeitet.
Bei der „Aufwärmrunde“ zu Beginn jeder Gruppensitzung können sich die
Teilnehmer bei Getränken und Keksen stärken und auf die Sitzung
einstimmen. In der „Aktuellen Runde“ (TZI-Methode nach Ruth Cohn) teilen
sie der Gruppe mit, was ihnen in letzter Zeit misslungen oder geglückt
ist. In Krisensituationen nützen sie dabei die Konfliktlösungsstrategien
der anderen Teilnehmer. Der Griff zur Droge ist nicht mehr notwendig,
wenn die Fähigkeit zur verbalen „Entspannung“ reaktiviert werden kann.
Die Übung „Lebenslinie“ macht Ereignisse, Erfahrungen und
Lebensabschnitte bewusst, die die individuelle Lebensentwicklung
beeinflusst und geprägt haben: Jeder Teilnehmer zeichnet eine waagrechte
Linie, die seinen Lebenslauf symbolisiert. Höhe- und Tiefpunkte werden
als Zeitabschnitte eingetragen. Bei der Reflexion stellt sich oft
heraus, dass Krisen durch Liebeskummer (Beziehungsverlust) und Trennung
der Eltern ausgelöst werden. Die Teilnehmer vermitteln, dass sie die
eigenen Ressourcen anzapfen wollen, um aus den Tiefs herauszustrampeln –
eigene Kraft, starker Wille, Freunde, Arbeit. Diese
„Selbstheilungstendenz“ wird von den Gruppenleitern zwar mit großer
Anerkennung bedacht. Sie vermitteln den Teilnehmern aber auch, dass sie
nicht „alles alleine meistern müssen“: Es ist okay, bei Bedarf familiäre
Ressourcen und fachliche Unterstützung zu beanspruchen.
Schwächen in „Wandzeitung“ publizieren
In einer „Wandzeitung“ können die Teilnehmer während der gesamten
Kursdauer ihre Entwicklungsschritte und Ziele notieren. Jeder soll
eintragen, welche Unterstützung, Hilfe oder Korrektur er durch die
Gruppe wünscht. Den noch unbekannten Anderen eigene Schwächen und Fehler
zu offenbaren, ist für die Jugendlichen eine große Herausforderung: Es
erfordert von den Gruppenleitern Feinfühligkeit und Geschick, die
Methode als persönliche Ressource der Gruppe zu etablieren und die
„Wandzeitung“ zu einem guten, offenen Kommunikationsinstrument zu
machen.
Die Familiensituation als Kriterium
Auf Basis ihrer Erfahrungen formulierten die NEUSTART
Projektmitarbeiter neben den üblichen Mustern des Konsumverhaltens auf
die Familie bezogene, psychodynamische Kriterien, die häufig in
Drogenkonsum münden: Zu diesen zählen der Erziehungsstil
(überfürsorglich ebenso wie „laissez faire“), eine unvollständige
Familie und Partnerersatz-Situation, die (Co-)Abhängigkeit von einem
suchtkranken Elternteil sowie eine problematische, frühzeitige Loslösung
der Mutter von der Tochter.
Rechtlicher Rahmen
Die Grundlage von „Way out“ ist ein Vertrag zwischen dem Gesundheitsreferenten des Landes Kärnten und dem Verein NEUSTART
– der Vertrag wurde mittlerweile verlängert und ausgeweitet. Für den
inhaltlichen Auftrag sowie für die Ergebnissicherung ist die
Landesstelle Suchtprävention zuständig. Die Zuweisung der Klienten
(Jugendliche und junge Erwachsene) erfolgt durch die Bezirks-Amtsärzte
bzw. Magistrate sowie durch die Ärzte der Unterabteilung
Drogenkoordination und Sozialmedizin.
Die Langfassung des Projektberichts können Sie als PDF downloaden.
Lesen Sie zum Thema auch den Artikel "Ich möchte, dass Du Dich verhältst, wie eine Mama..." aus dem report Kärnten 2004.
Den gesamten Artikel können Sie hier downloaden:
Superdrogen, Lebenslinien: Wege aus der Sucht (PDF, 174 KB)
Bösartige Probleme |10.02.2005|
Die „Innere Revision“ einer Organisation befasst sich mit den Soll- und Ist-Abläufen in der Organisation und macht Optimierungsvorschläge. Das ist bei Non Profit Organisationen nicht anders als im Profit Bereich. Probleme gibt es da wie dort. „Bösartige“ Probleme sind solche, die nicht berechenbar, vorhersagbar oder in ihrer Lösung planbar sind. Die Schwierigkeit des Umgangs mit solchen Problemen beschreibt Karl Schnitzer, Revisor bei NEUSTART, am Beispiel der Überprüfung der Betreuung eines Sexualstraftäters.
BÖSARTIGE PROBLEME
Ein Teilaspekt der Revision in Non Profit Organisationen (NPOs)
Karl Schnitzer ist Revisor bei NEUSTART
und war viele Jahre als Bewährungshelfer tätig. Im folgenden Artikel
befasst er sich mit einem Phänomen, das sichtlich öfter in Non Profit
als in Profit Organisationen anzutreffen ist: das „bösartige Problem“.
Der Begriff der „bösartigen Probleme“ (Rittel) findet seinen Gegensatz
in den „zahmen“ Problemen, die in einer vollständigen mathematischer
Abbildung und eindeutigen Berechenbarkeit definiert sind. Jedenfalls
finden beide Begriffe in der Planungsmethodologie Verwendung. Bei einem
zahmen Problem führt ein entsprechender Plan zu einer befriedigenden
Lösung.
Nun gibt es sicher auch bei NPOs eine Fülle von „zahmen Problemen“ die
durchaus befriedigend zu lösen sind. Diese sind meist in Bereichen zu
finden, in denen die Non Profit Organisation normalen Organisationen
gleicht. Die meisten Probleme hingegen, die sich aus der spezifischen
Arbeit einer NPO ergeben, sind in dieser Begrifflichkeit „bösartig“.
Merkmale von bösartigen Problemen
- Ein bösartiges Problem lässt sich nicht im Voraus vollständig formulieren und mathematisch definieren.
- Man weiß nie genau, wann ein bösartiges Problem gelöst ist. Es gibt immer nur Lösungen vom Typ einer Zwischenlösung.
- Die Lösung für ein bösartiges Problem ist nie eindeutig richtig oder falsch.
- Jedes bösartige Problem kann als ein Symptom eines übergelagerten bösartigen Problems verstanden werden.
- Ein bösartiges Problem wird als Soll-Ist-Diskrepanz
beschrieben. Sowohl die Definition von „Soll“ als auch von „Ist“ ist
abhängig von der Einschätzung des Problemlösers.
- Jedes bösartige Problem ist in der Regel einmalig.
Lösungsstrategien für ein bestimmtes bösartiges Problem lassen sich kaum
übertragen auf ein anderes bösartiges Problem.
- Die Folgen der Problemlösung eines bösartigen Problems sind irreversibel.
Die Fülle von bösartigen Problemen, mit denen nun ein Sozialarbeiter
tagtäglich konfrontiert ist (hier oft nicht nur im Sinne eines
Raumplaners oder Mathematikers), spielen umgehend auch in die
Organisation zurück. So können nur im Ansatz Lösungsstandards ausgegeben
und verlangt werden (zum Beispiel: Was hat ein Sozialarbeiter bei
drohendem Wohnungsverlust eines Klienten zu tun?). Planung ist nie
sicher und direkt zu machen ( Wie viel Zeit benötigt man wofür?). Die
Sollvorgaben können sich nur in einem groben Rahmen bewegen ( Wie
fixierbar sind sozialarbeiterische Standards: Frequenz, Abläufe,
Handlungspläne?).
Diese Problematik spielt natürlich nicht nur für die Sozialarbeiter und
die Leiter eine Rolle, sondern auch für die Revision, wenn sie diese
Bereiche einer Prüfung unterzieht. Prüfung heißt, dass das Soll mit dem
Ist verglichen wird. Durch das oben ausgeführte wird jedoch sofort
deutlich, dass das in den meisten Fällen nur im Bereich der Annäherung
passieren kann.
Beispiel: Betreuung eines Sexualstraftäters
In der Richtlinie zur Betreuung von Sexualstraftätern wird vorgegeben,
dass mit diesen in einer bestimmten Häufigkeit Treffen stattfinden
sollen; weiters, dass das Delikt im Rahmen der ersten Gespräche
(Anamnese, problemorientierte Exploration ) bewusst und offen
anzusprechen ist. Das wird aus Erfahrung eingefordert, weil es sehr
wichtig ist, der häufig praktizierten Verdrängung entgegenzutreten.
Nun stößt die Innere Revision auf einen Betreuungsakt, aus dem
hervorgeht, dass der Sozialarbeiter äußerste Mühe hat, mit dem Klienten
überhaupt ein paar friedliche Worte zu wechseln; er wird vom Klienten,
gemeinsam mit seiner Mutter, bei seinen anfänglichen Besuchen vom Hof
gejagt. So dauert die Betreuung fast ein Jahr lang, bis die Frequenz der
Treffen eingehalten werden kann und es dann doch die Möglichkeit gibt,
das Delikt anzusprechen. Fazit für die Innere Revision: Das Soll kam mit
dem Ist nicht zur Deckung.
Festgesetzte Werte und Vorgaben müssen gelegentlich revidiert werden
Was bringt nun die Feststellung, dass das Soll nicht mit dem Ist
übereinstimmte? Es zeigte sich, dass es für die Lösung eines bösartigen
Problems keine sichere Planung gibt. Es gibt nur Lösungsversuche im
Sinne der Organisation von Wertkonflikten zwischen den am Lösungsversuch
Beteiligten und den vom Lösungsversuch Betroffenen. Das heißt etwa für
dieses Beispiel( auf der Ebene der Überprüfung): Die festgesetzten Werte
und Vorgaben der Organisation müssen mit den (für diesen Fall durch den
Sozialarbeiter) neu festgesetzten Werten gegeneinander abgewogen
werden. Dabei spielt die Einschätzung der Gefährlichkeit des Klienten
eine Rolle, Weisungen des Gerichts (Therapie ) und ob überhaupt andere
Reaktionsweisen möglich gewesen wären.
Alle oben angeführten Definitionen von bösartigen Problemen kommen hier
für die Revision zur Geltung - noch einmal verschärft durch das
hermeneutische Problem, dass die eigentlichen Probleme nur in einer sehr
verkürzten schriftlichen Form der Dokumentation vom Problemlöser
(Sozialarbeiter) und seiner Sicht dargestellt werden.
Revision und die Seriosität ihrer Feststellungen
In der Praxis haben sich für die Revision zwei Fragen herausgebildet.
Erstens: wie häufig kommen Soll und Ist bei spezifischen Vorgaben nicht
zur Deckung? Wenn das Soll kaum oder nur in Einzelfällen erreicht werden
kann, dann stimmen meist die Vorgaben nicht und müssen überprüft und
verändert werden. Zweitens: wurde die Diskrepanz zu den Vorgaben gesehen
und wie wurde damit umgegangen? Die Abweichung vom Soll sollte nicht
einfach nur „passieren“, sondern bewusst in Abstimmung mit der
Fachaufsicht (zum Beispiel Fachgespräch, Teambesprechung) gewählt
werden. Das ist bei NEUSTART auch in den Richtlinien so vorgesehen.
Entlang dieser Fragestellungen ist eine gewisse Bandbreite
sozialarbeiterischen Handelns erreichbar, bei der neben der
Eigenverantwortung der Sozialarbeiter auch die Organisation die
aufgetragene Verantwortung übernimmt.
Wie?
Das ist das nächste bösartige Problem.
Den gesamten Artikel können Sie hier downloaden:
Bösartige Probleme (PDF, 25 KB)
Opferhilfe in den Niederlanden |10.02.2005|
In Österreich gibt es den Außergerichtlichen Tatausgleich, wo mit Tatverdächtigen und Opfern gearbeitet wird; und es gibt die Verbrechensopferhilfe, wo aktiv an Verbrechensopfer herangegangen wird. Neben der durch NEUSTART in fünf Bundesländern (Wien, Niederösterreich, Burgenland, Kärnten, Tirol) durchgeführten Verbrechensopferhilfe gibt es zahlreiche andere Opferhilfeorganisationen, die bekannteste ist wohl der Weisse Ring. Einen Blick über die Grenzen Österreichs hat Karl Schnitzer gemacht, der sich über die Opferhilfe in den Niederlanden via Internet informiert hat.
OPFERHILFE IN DEN NIEDERLANDEN
(Slachtofferhulp Nederland SHN)
Karl Schnitzer ist Revisor bei NEUSTART
und war viele Jahre als Bewährungshelfer tätig. Die Beobachtung anderer
Non Profit Organisationen und der Vergleich mit Organisationen, die
(ähnliche) Leistungen wie NEUSTART anbieten, hat ihn dazu gebracht, sich über die Organisation der Opferhilfe in den Niederlanden zu informieren.
karl.schnitzer@neustart.at
Organisation und Finanzierung
Die Opferhilfe in den Niederlanden (SHN) hilft den Opfern von Vergehen,
Verbrechen und Verkehrsunfällen. Sie vertritt auch die Anliegen der
Opfer in der Politik und den Medien. Die SHN ist eine Organisation mit
einer Zentrale, 13 Regionalgeschäftsstellen und 75 lokalen Außenstellen.
250 hauptberufliche und 1.500 ehrenamtliche Mitarbeiter(innen) sind bei
der Opferhilfe tätig.
Die SHN wird von der Regierung ( hauptsächlich dem Justizministerium),
von den Gemeinden und vom Fonds Opferhilfe finanziert. Im Jahr 2002
wurde in 82.500 Fällen Hilfe geleistet. Die Kosten pro Opfer, die für
Opferhilfe für die Regierung anfallen, werden mit 70,-- Euro angegeben.
Ehrenamtliche Mitarbeiter(innen)
Die Opferhilfe in den Niederlanden arbeitet mit Ehrenamtlichen
(vrijwilligers). Dahinter steckt folgende Philosophie: Wenn jemand aus
der Gesellschaft einem etwas antut, ist es gut, wenn dieser merkt, dass
ein anderer aus derselben Gesellschaft für ihn da ist, um ihm zu helfen.
Die Opferhilfe ist regelmäßig auf Suche nach neuen Ehrenamtlichen.
Was bedeutet Ehrenamtlichenarbeit in der Opferhilfe?
Opfer eines Verbrechens oder eines Verkehrsunfalls haben nach dem
Vorfall mit einer Vielzahl von Instanzen und Gesetzen zu tun, von denen
sie wahrscheinlich vorher noch nichts gehört haben. Gleichzeitig tragen
sie in sich Schmerz, Verbitterung und manchmal auch Wut. Die Opfer
müssen von der Polizei über die Möglichkeit der Opferhilfe informiert
werden und werden so schnell wie möglich von dieser kontaktiert und auch
aufgesucht.
Der Ehrenamtliche bietet den Opfern erste praktische, juristische und
emotionelle Unterstützung: Er spricht über das was geschehen ist, regelt
die praktischen Angelegenheiten, geht mit zu Polizei und Gericht, hilft
beim Ausfüllen der Formulare und beim Schreiben von Briefen und
vermittelt, wenn nötig, professionelle Hilfen.
Die Ausbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiter(innen)
Jeder Ehrenamtliche bekommt eine Grundschulung. Diese beinhaltet das
Kennen lernen der psychologische Folgen eines Verbrechens oder eines
Verkehrsunglücks, Gesprächsführung, juristische Kenntnisse und
Schadensregulierung, praktische Hilfestellungen. Die ehrenamtlichen
Mitarbeiter(innen) werden von hauptamtlichen Mitarbeitern unterstützt,
Unkosten werden ersetzt (Aufwandsentschädigung).
Opferhilfefonds
Der Opferhilfefonds wurde 1989 gegründet. Der Fonds wird von etwa 100
Firmen unterstützt, die damit ihre gesellschaftliche Verantwortung
ausdrücken. Weiters wird er von den Lotterien unterstützt. 1998 wurde
mit Spenderwerbung begonnen. 2003 wurde der Fonds von mehr als 70.000
Spendern unterstützt.
„Lehrstrafe“ für junge Täter
Für junge Täter (14-18 Jahre) wird von der Opferhilfe auch eine so
genannte Lehrstrafe angeboten (als Ersatz für 25 oder 40 Stunden
gemeinnützige Arbeit.) An fünf beziehungsweise acht Tagen werden Kurse
zu jeweils zweieinhalb Stunden angeboten. Es geht darum, die
Jugendlichen mit den Folgen ihrer Taten bei den Opfern zu konfrontieren
und einen Lern- und Verstehensprozess einzuleiten.
Vermittlung zwischen Opfer und Täter
Seit 2001 laufen Projekte, um zwischen Opfer und Täter (Tatausgleich) zu
vermitteln und zwar vor allem in Fällen häuslicher Gewalt und Stalking
(Belästigung, Bedrohung, Verfolgung, Mobbing).
Quelle: www.slachtofferhulp.nl
Den gesamten Artikel können Sie hier downloaden:
Opferhilfe in den Niederlanden (PDF, 14 KB)
Restorative Justice |26.01.2005|
Außergerichtlicher Tatausgleich und Mediation sind mittlerweile erprobte Instrumente zur Bewältigung von Konflikten. Die Entwicklung geht dennoch weiter, neue und problemspezifische Modelle zur optimalen Betreuung von Tätern und Opfern werden gesucht und geprüft. Die Themen „Restorative Justice“, „Victim Offender Mediation“, „Conferencing Modelle“ und andere mehr wurden bei einer Konferenz in Budapest bearbeitet. Christoph Koss und Bernd Glaeser waren als Vertreter von NEUSTART dabei.
RESTORATIVE JUSTICE
Bericht über die Konferenz „Restorative Justice in Europe: Where are we heading?“
in Budapest vom 14.-16. Oktober 2004
Mag. Bernd Glaeser, Teamleiter bei NEUSTART
Wels-Ried, und Dr. Christoph Koss, Assistent des Geschäftsführers für
sozialarbeiterische Angelegenheiten, waren in unterschiedlichen Rollen
Teilnehmer an der Konferenz und berichten über ihre Eindrücke.
bernd.glaeser@neustart.at
christoph.koss@neustart.at
Es war die dritte gesamteuropäische Konferenz des „European Forum for
Victim-Offender Mediation and Restorative Justice“ (www.euforumrj.org).
Über 200 Teilnehmer aus 35 Staaten fanden sich zusammen. Von Australien
bis Norwegen und Finnland, von den Niederländischen Antillen bis
Rumänien, Ukraine und Russland – ein buntes Nationengemisch!
Die sehr gelungene Konferenz war ein guter Mix aus Workshops, Vorträgen
und praxisorientierten „Cafe Conferences“. Die Themen spannten sich von
Realitäten der politischen Implementierung, Zusammenarbeit zwischen
Rechtsanwendern und Mediatoren, der Position des Opfers, Möglichkeiten
der Miteinbeziehung des sozialen Umfelds (Community), Restorative
Justice im Gefängnis bis hin zur Besprechung schwieriger Fälle.
Seitens NEUSTART leitete
Bernd Glaeser eine „cafe conference“ zum Thema schwierige Fälle und
hielt in einem Workshop ein Referat zu „Victim-Offender Mediation in
Cases of Domestic Violence“ (eine Kurzform des Vortrags wird in der
Dokumentation der Konferenz abgedruckt sein). Christoph Koss leitete
einen Workshop zum Thema „Developing Restorative Justice Policies“.
Wie oft in solchen Zusammenhängen wurden die Beiträge aus Österreich
sehr interessiert aufgenommen, nicht zuletzt, weil bekannt ist, dass in
Österreich gute Arbeit geleistet wird. Eine derartige Konferenz bietet
die Möglichkeit, unsere Erfahrungen ausführlich in englischer Sprache zu
präsentieren. Diese internationale Plattform ist insofern besonders
wichtig, da aus dem deutschsprachigen Raum nur wenig Materialien in
englischer Übersetzung vorhanden sind. Während international Themen,
Methoden und Überlegungen, zu welchen es englischsprachige Artikel gibt,
breit diskutiert werden können, sind die deutschsprachigen
Veröffentlichungen aufgrund der Sprachbarriere nur wenigen bekannt.
Trotz allem verfügen wir über ein Image, wonach Österreich eine
Vorreiterrolle bei der Entwicklung des Außergerichtlichen Tatausgleichs
einnimmt und unsere Arbeit als beispielhaft gesehen wird.
Während der Tagung wurden zwei auf den ersten Blick sehr
unterschiedliche Strömungen innerhalb der Restorative Justice in Europa
besonders deutlich. Auf der einen Seite präsentieren sich sehr
Community-orientierte Ansätze, die aus England und den skandinavischen
Ländern, aber auch immer mehr aus osteuropäischen Ländern kommen.
Konsequenterweise haben hier ehrenamtliche Mediatoren einen hohen
Stellenwert. Immer wieder wird Nils Christie zitiert, welcher fordert,
dass die Kompetenz für die Lösung der Konflikte der Community nicht
durch staatliche Interventionen entrissen werden darf.
Demgegenüber gibt es die vor allem in Mittel- und Zentraleuropa
verbreitete individualisierte Sichtweise von Konflikten und die
Forderung nach hoher Professionalität in der Bearbeitung derselben. Bei
genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass in den erstgenannten
Ländern wesentlich geringfügigere Delikte mit Restorative Justice
bearbeitet werden als bei uns. Jedenfalls zeigt sich, dass der Austausch
dieser Ansätze für beide Seiten befruchtende Impulse bringen kann.
Die Anwendung von Victim-Offender Mediation in Fällen von häuslicher
Gewalt ist nach wie vor wild umstritten. Zum Abschluss der Konferenz
hielt eine Kollegin aus England außerhalb des Programms ein engagiertes
Plädoyer gegen den Einsatz von Mediation. In einem seriösen,
entideologisierten Diskussionsprozess könnte deutlich werden, dass die
Fronten in Wahrheit gar nicht so weit voneinander entfernt sind: Wenn
bei häuslicher Gewalt nicht klassisch moderierende Mediation, sondern
Restorative Justice – also Interventionen zur Herstellung des
(Rechts-)Friedens und eines fairen Ausgleichs mit der Perspektive
Gewaltfreiheit – angewendet wird; diese nimmt sehr wohl die Situation
des Opfers wahr und versucht, dieses zu stärken. Die Diskussion darüber
kennen wir ja zum Teil auch aus Österreich.
Interessante Versuche werden auch im höheren Kriminalitätsbereich
berichtet: So präsentierten zwei Däninnen ein Modellprojekt über
Täter-Opfer-Ausgleich bei Vergewaltigungen oder wurde ein norwegisches
Modell vorgestellt, das im Gefängnis mit lang inhaftierten Gewalttätern
einen Täter-Opfer-Ausgleich in Hinblick auf die Entlassung anbietet
(dies allerdings nur im experimentellen Stadium und mit sehr wenigen
Fällen). In diesen Fällen geht es nicht um eine Maßnahme anstelle
justizieller Verfahren, sondern um eine zusätzliche Hilfestellung für
Opfer und Täter, mit traumatischen Vorfällen im Sinne einer Verarbeitung
umzugehen und unter erschwerten Bedingungen einen passenden
persönlichen Ausgleich anzustreben.
Offensichtlich wurde, dass die Grenzen der Anwendbarkeit von Mediation
im strafrechtlichen Bereich noch lange nicht ausgelotet sind. Von
Erfahrungen in anderen Ländern können wir profitieren, wenn wir sie auch
in unsere Entwicklungen und Überlegungen mit einfließen lassen.
Am spannendsten scheinen dabei „Conferencing Modelle“, die ursprünglich
aus Neuseeland und Australien kamen und mittlerweile in immer mehr
Ländern (auch in Europa) Verbreitung finden. Sie waren in zahlreichen
Workshops Thema: Es geht dabei nicht nur um einen direkten Ausgleich
zwischen Opfer und Täter, sondern zusätzlich um eine stärkere Rolle der
Community (im Sinne von betroffenem Umfeld). Interessant sind dabei vor
allem jene Modelle, bei denen Freunde und Angehörige auf Wunsch von
Opfer oder Täter einbezogen werden. Ziel etwa im Bereich Gewalt in
Partnerschaften ist die Unterstützung der Betroffenen, die Ursachen
besser zu klären und realitätsnähere Lösungen zu finden. Dazu gehören
beispielsweise der Plan über den künftigen Umgang (Gewaltstopp, Trennung
oder weiteres Zusammenleben), Verbesserung der sozialen Situation
(Arbeit, Schulden…) oder die Hilfestellung durch ein Netzwerk. Auf diese
Weise können, wie einige Untersuchungen zeigen, positive Effekte in
Hinblick auf Zufriedenheit und Nachhaltigkeit erzielt werden. Vor allem
die von einer holländischen Organisation (www.eigen-kracht.nl)
adaptierte und während der Konferenz vorgestellte Methodik könnte
durchaus auch für den deutschen Sprachraum überlegenswert sein.
Viele Kontakte gab es zu den Kollegen aus Slowenien, Bosnien Ungarn,
Polen und Bulgarien. Hier besteht besonders großes Interesse zumindest
an einem verstärkten Austausch und in Folge auch zu engerer Kooperation.
Der Austausch zwischen Personen aus Wissenschaft und Praxis vieler
Länder ist sinnvoll und lehrreich. Außerdem tut es gut, über den
Tellerrand zu schauen und mit dem Stolz nach Hause fahren zu können,
dass die Kolleg(inn)en in Österreich im Vergleich ausgezeichnete Arbeit
unter sehr professionellen und klaren Bedingungen leisten: Klare
gesetzliche Grundlagen, professionelle Strukturen, hohe Qualität der
Ausbildung, hohe fachliche Standards, klare Einbettung und Kooperation
mit Justiz und Politik.
In den Bereichen Forschung, neue Entwicklungen und internationale
Kooperationen können wir von anderen Ländern lernen. Umgekehrt ist der
Erfolg in Baden-Württemberg ein Beispiel für eine Pionierrolle von NEUSTART in Europa. Er zeigt überdies, dass NEUSTART
im europäischen Kanon wertvolles Know-how sowohl im Bereich der
Bewährungshilfe als auch im Rahmen von Restorative Justice anbieten
kann.
Interesse an Kooperationen mit uns, beispielsweise durch weitere
Twinningprojekte (wie etwa 2002 bis 2003 zwischen NEUSTART, Tschechien,
Holland und England) ist jedenfalls gegeben.
Den gesamten Artikel können Sie hier downloaden:
Restorative Justice (PDF, 21 KB)
Organisationsentwicklung: Beziehung vor Inhalt? |23.12.2004|
Im Organisationsentwicklungs-Prozess geht es um mehrere Dimensionen: Die Inhalte, Beziehungsdynamiken, das Umfeld. Keiner der Aspekte sollte vernachlässigt, keiner zu sehr in den Vordergrund gestellt werden. Klingt einfach, ist es aber nicht. „Organisationen entwickeln sich nicht ausschließlich durch Beziehungsklärung. Aber auch nicht ohne sie.“ meint Andrea Tippe, die bei NEUSTART das Projekt „Teamentwicklung“ durchgeführt hat. Ihre externe Sicht beschreibt sie im folgenden Beitrag.
ORGANISATIONSENTWICKLUNG: BEZIEHUNG VOR INHALT?
Andrea Tippe, externe Leiterin des Projekts „Teamentwicklung bei
NEUSTART“; geschäftsführende Gesellschafterin OE 263; Trainerin für
Gruppendynamik, Group-worker ( ÖAGG), Lehrsupervisorin (ÖAGG),
Weiterbildung in Arbeit mit Organisationen (ÖGGO/IFF).
Adresse: OE-263 Organisationsberatung, Waltherstraße 2, A-4020 Linz, TEL / FAX +43 (732) I 79 48 04
beratung@oe263.com
Organisationsentwicklung ist ein Konzept zur Planung und Umsetzung von Entwicklungsprojekten in Organisationen. Daran beteiligt sind meist Vorstände, Geschäftsführung(en), Mitarbeiter(innen), interne und externe Berater(innen). Sie haben das Ziel – aufgrund einer entwickelten Diagnose und strategischer Gedanken – Maßnahmen erfolgreich umzusetzen, das heißt, mit Leben zu erfüllen. Dem/der externen Berater(in) obliegt es, diesen Veränderungsprozess in den einzelnen Schritten planend und steuernd mit zu begleiten. Meine/unsere Aufgabe im externen Beratungsteam OE-263 beim Veränderungsprozess von NEUSTART (im Zeitraum 2002 bis 2003) war es, Teamentwicklung zur Begleitung der neuen Arbeitsteams, der Entlastung und der Evaluierung der Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen einzuführen. Ziele, Aufgaben, Rollen, Funktionen, Arbeitsstrukturen, Normen sollten reflektiert werden können, weiters die Perspektive, wie Teams mit anderen Teams in der Organisation zusammenarbeiten und in welchem Verhältnis die Organisation zu ihrer Umwelten steht.
Es ist noch nicht lange üblich, Teamentwicklung in einem Atemzug mit
Organisationsentwicklung zu nennen. Die methodischen Vorgehensweisen bei
Teamentwicklung sind dem Konzept der Supervision sehr nahe. Supervision
orientiert sich traditionellerweise am Rollenverstehen der Personen und
am Klienten, während Organisationsentwicklung, verkürzt ausgedrückt,
die Rentabilität der Organisation im Auge hat. Supervision etablierte
sich lange als Reflexionszone, die vom Einfluss der Leitung frei blieb.
Organisationsberatung schuf dagegen Beratungssituationen, die dem
Primärziel der Organisation, vertreten durch die Leitung, untergeordnet
sind. Und trotz dieser Unterschiede, die in einer „reinen“ Form meines
Erachtens so nicht mehr vorkommen, gibt es viele Gemeinsamkeiten, die in
der Arbeit mit sozialen Systemen zu beachten sind: Alle größeren
sozialen Systeme (ob formell oder informell) formieren sich aus Gruppen,
die ihrerseits ein kompliziertes Netzwerk an Interaktionsbeziehungen
entwickeln. Folgt man dieser Überlegung, so kann man eine Organisation
als „das System der Beziehungen zwischen Gruppen, die selbst wieder
Beziehungssysteme von Beziehungen sind“ begreifen (Wimmer Rudolf,
Carl-Auer 2004, Seite 53 ff).
Die Vernetzung von Gruppen bildet ein Kernproblem von Organisationen.
Organisationen verkörpern die Begrenzung der Gruppe, sie beendet die
Selbstbezüglichkeit derselben und zwingt in die Logik des größeren
sozialen Ganzen. „Die Gruppe ist der natürliche Feind der Organisation
und die Organisation der natürliche Feind der Gruppe.“(Pesendorfer in
Wimmer R., Carl-Auer 2004, Seite 53). Immer wieder aktualisiert wird
dieses Konfliktfeld in den Kommunikationsprozessen der Teams, in denen
es um wechselseitige Abstimmung, um Problemlösungsprozesse, um
Aushandeln von Interessensunterschieden geht; und das auf drei Ebenen -
der der Personen, der Teams und der Gesamtorganisation. Die Fragen, die
sich für die Arbeitsfähigkeit stellen, sind: Wann ist
Beziehungsorientierung und wann Aufgabenorientierung zur produktiven
Weiterentwicklung der Organisation angesagt? Kann durch
Beziehungsklärung eine Organisation verbessert werden? Ist dies eine
entweder/oder-Frage?
Gleich zu Beginn meine persönliche Antwort: Organisationen entwickeln
sich nicht ausschließlich durch Beziehungsklärung. Aber auch nicht ohne
sie.
Würde ich sagen: Organisationen verändern sich nicht durch
Beziehungsklärung, verträte ich die Meinung, Organisationen als eine
Maschine zu verstehen. Niemand würde mir an dieser Stelle erzählen, dass
er dieses Bild von Organisation am liebsten lebt. Und doch ist es noch
immer das am häufigsten praktizierte Bild: Organisation und Management
soll routinemäßig, effizient, verlässlich und vorhersehbar gemacht sein.
Die Vorstellung von Management als einen Prozess der Planung,
Organisation, Anweisung, Koordination und Kontrolle bildet die Grundlage
für viele Managementtechniken - so für MBO (management by objectives),
PPBS (planning, programming, budgeting systems) und andere Methoden, bei
denen rationale Planung und Kontrolle im Vordergrund stehen (vgl. dazu
Morgan Gareth, Bilder der Organisation, (2000) Klett-Cotta. S 32 ff).
Die Idee, Organisationen als sozio-technische Systeme zu verstehen, in
denen menschliche und strukturelle Aspekte von Arbeit vernetzt
umschrieben werden können, ist in den 50er Jahren von den Mitgliedern
des Tavistock-Instituts of Human Relations in London geprägt worden.
Ihrer Ansicht nach sind die Aspekte nicht voneinander zu trennen, denn
die Eigenschaften des einen Teilbereiches haben Konsequenzen für den
anderen Teilbereich. Die Idee der Integration von individuellen und
organisatorischen Bedürfnissen gewann großen Einfluss und wird durch
Theoretiker wie Chris Agyris und Frederik Herzberg auch aktuell weiter
behandelt. Die Studien zeigten auf, wie Arbeitsorganisation so
modifiziert werden kann, dass motivierende Arbeitsaufgaben geschaffen
werden können, in denen Autonomie, Verantwortung und Anerkennung an
Arbeitnehmer(innen) übertragen werden können. Erweitert wurde dieses
Modell durch das Einbeziehen des Systemansatzes, also das Aufgabenumfeld
der Organisation und ihrer Interaktion mit demselben. Von vielen
Organisationstheorien, die es gibt, ist es noch immer diese, die mich in
der Beratung mit Organisationen am meisten beeinflusst, weil sie
wesentliche Grundwidersprüche, wie beispielsweise Beziehungs- oder
Aufgabenorientierung, die Teile und das Ganze, aufgreift und bearbeitbar
machen kann. Das im Zuge der Teamentwicklung bei NEUSTART
eingeführt „Sechs Boxen-Modell“ nach Marvin Weisbord, kommt dieser
Theorie sehr nahe. Die Interdependenz der einzelnen Teile der
Organisation/des Teams (Input, Ziele, Beziehungen, Arbeitsstrukturen,
Anerkennung, technische Hilfsmittel, Leitung, Output, Umfeld) kann
erfasst und bearbeitet werden. Das Modell beschreibt den
Transformationsprozess, den Organisationen durchlaufen.
- Es gibt einen Input (Ressourcen, Know-how...) und einen Output (die
Dienstleistung, das Produkt), der wünschenswerter Weise einen Mehrwert
darstellt. Organisationen leisten dies für eine gegebene beziehungsweise
geschaffene Umwelt (den Markt), mit der sie ein wechselseitiges
Bedingungsverhältnis verbindet. Die Input-Output-Beziehung muss immer
wieder reflektiert werden – steht der erarbeitete Output in einem
vertretbaren Verhältnis zum Input?
- Organisationen grenzen sich von der Umwelt ab. In vieler
Hinsicht bilden sie operativ geschlossene Systeme, die Umwelteinflüsse
nur selektiv wahrnehmen und verarbeiten. Diese relative Geschlossenheit
brauchen Organisationen, damit sie gegenüber einer fordernden Umwelt
eine innere Ordnung behalten. Organisationen entwickeln ein Eigenleben
mit spezifischen Selbstreflexions- und Steuerungsprozessen. Die
Reflexion des Transformationsprozesses zwischen Organisation und Umwelt
ist ein Teil des Modells.
- Damit der Transformationsprozess zwischen Input, Output und
Umwelt gelingen kann, sind sechs zusammenhängende Funktionsaspekte der
Organisation von besonderer Bedeutung: purpose (Ziel/Zweck),
relationship (Beziehungen), structure (Struktur), rewards (Belohnungen),
helpful mechanism (Unterstützende Mechanismen), leadership
(Führung/Leitung), outside environment (Umwelten).
- Zu den einzelnen Boxen werden Fragen gestellt, die die Gruppe/das Team dann beantworten kann, um eine Selbstdiagnose durchzuführen. Die Fragen beziehen sowohl das formelle System (Was ist geschrieben, vereinbart ...?) als auch das informelle System (Was denkt man sich, was sagt man hinter vorgehaltener Hand?) mit ein. Jeder der genannten sechs Aspekte hat sozusagen ein Spiel auf der für alle sichtbaren Organisationsbühne und mit diesem Spiel korrespondiere Aktivitäten auf der „Hinterbühne“. Anders ausgedrückt: bewusstes und unbewusstes Leben einer Organisation bilden einen Zusammenhang, ebenso wie Strukturen und Beziehungen untrennbar miteinander verbunden sind. Die Boxen bedingen einander in ihrer Wirksamkeit. Aus der Differenz der Aspekte und der beiden Sphären der Organisation können Schlüsse für eine Weiterentwicklung gezogen werden.
So schön die Theorie klingt - wie ist es in der Praxis für die Leitung, die Mitglieder der Organisation und die Berater(innen) im Organistionsentwicklungs-Prozess?
Beziehungsdynamik in Teams
Am Beginn einer Beratung mit einem Team ist die Beziehungsdynamik oft
das erste und vorherrschende Thema. Das Motto lautet dann: Das Klima ist
mies, wir können schlecht miteinander, einzelne werden bevorzugt, und
so weiter. Das Problem des Teams an diesem Punkt auf persönliche
Verhaltensprobleme von einzelnen zu reduzieren und möglichst lange daran
zu arbeiten, führt in die Sackgasse. Es reduziert die Komplexität von
Organisationsbeziehungen unangemessen. Die Entwicklungsarbeit besteht
darin, die darin enthaltenden Teilprobleme und Zusammenhänge sichten zu
können und zu differenzieren. Es geht in Organisationen nicht darum,
dass sich alle mögen und vorstellen können, privat miteinander zu
verkehren. Im Gegenteil: Teammitglieder, die auch privat miteinander
verkehren oder einander lange kennen, brauchen hohes
Abgrenzungsvermögen, damit funktionale und personale Wertschätzung nicht
miteinander vermischt werden und keine Subgruppenbildung aus der
Freizeit im Arbeitsalltag fixiert wird. Meine Erfahrung aus Beratungen
ist es, dass titulierte Beziehungsprobleme häufiger mit
Aufgabenverteilung und Funktionalität zu tun haben, beziehungsweise mit
Grenzen und Abgrenzungen der Funktionsbereiche (beispielsweise zwischen
Leitung und Mitarbeiter(innen)). Organisationen sind auch oft belastet,
wenn ungenügend informiert und kommuniziert wird. Organisationen, die
ausreichend Struktur, Funktionsabgrenzung und Zielvorgaben (als
Gegenüber) erarbeitet haben, gewinnen ein hohes Maß an konstruktiver
Konfliktfähigkeit, Autonomie und Lösungsbereitschaft in ihren
Beziehungen. Dies ist meiner Ansicht nach ein Schlüssel zur gelungenen
Zusammenarbeit auf den Ebenen der Aufgabe und der Beziehung. Auf der
Beziehungsebene geht es um Verhaltensleistungen, die respektvollen
Umgang zur Erfüllung der Aufgabe ermöglichen. Es geht um das Verstehen
und Entwickeln des überhaupt möglichen Beziehungsraumes, den jede
spezifische Einheit für sich durch Handlungsmöglichkeit und
Einschränkungen funktional auf den Ebenen Person und Organisation
bestimmt. Das Feststellen dessen, was wirksam ist, also auch Ängste,
Wünsche, Interessen, Hoffnungen, sind ein Teil (ich wiederhole: ein
Teil) der gemeinsamen organisationellen Arbeit.
Organisationsentwicklungs-Berater(innen), die in sozialen Organisationen
auf die persönlichen Beziehungsfragen überdurchschnittlich hoch
eingehen, ohne andere Aspekte mit einzubeziehen, erhalten nicht zu
geringen Applaus. Ob es der Weiterentwicklung der Organisation in ihrer
Komplexität gedient hat, stelle ich in Frage.
Beziehungen zu Wirtschaftlichkeit, Hierarchie und Werten
Was die Beziehungen in Non-Profit-Organisationen schwierig macht,
besonders zwischen der Leitung und den Mitgliedern, ist das aktuelle
Umfeld. Seit die Grenze der Finanzierbarkeit von
Non-Profit-Organisationen in Sicht ist, geraten diese zunehmend unter
Druck, sich nicht nur besser zu organisieren, sondern ihre Existenz
überhaupt zu rechtfertigen. War in den 70er Jahren die
Weiterbildungsabteilung der Motor der Entwicklung und des Potenzials der
Organisation, ist es jetzt die Controlling-Abteilung, die einen völlig
anderen Stellenwert hat. Es geht nicht mehr ausschließlich darum, die
eigene Professionalität zu stärken und damit die Überlebensfähigkeit der
Organisation zu sichern, sondern sich strategisch gegenüber möglichen
Konkurrenten so auszurichten, dass auch bei finanziellen Einbrüchen die
Kernleistung erhalten bleiben kann. Nach Ruth Simsa, Institut für
Soziologie der Universität Wien, können folgende Charakteristika
Non-Profit-Organisationen kennzeichnen (Vgl. dazu Ruth Simsa und Ewald
Krainz: Gute Menschen. In: Veränderung in Organisationen (1995)
Grossmann/Krainz/Oswald, Gabler Verlag. S 255 – 272):
- Die Non-Profit-Organisationen (NPO) sind hochwertig in ihren
Leistungen und wirtschaftlich extrem bedeutend. Sie tragen zum
Beschäftigungswachstum mehr bei als alle anderen Wirtschaftsbereiche.
- Es gibt eine Kommerzialisierung im Sozialbereich, die einhergeht mit den Folgen des übermäßigen staatlichen Rückzuges.
- Das Selbstverständnis des NPO-Managements hat sich grundlegend
geändert. Man spricht von „Professionalisierung“, wo früher „Engagement“
das ausschlaggebende Beschäftigungskriterium war.
- Formale Strukturen werden in definierten
Verantwortungsbereichen, Ablaufmustern und Zuständigkeiten oft informell
unterwandert. Der Wunsch nach Gegenwelten, nach Mitbestimmung und die
Erwartung, dass solche Organisationen „wärmer“, menschlicher agieren
müssten wie Profit-Organisationen sind prägende Erwartungen. Dass gerade
diese Organisationen einen rigiden staatlichen Auftrag haben, wird
abgewehrt. Eine Dominanz des Informellen ist oftmals geläufige Kultur.
- Bei Entscheidungen besteht in der Folge oft ein hohes Maß an
Begründungen und die Forderung der Einbeziehung möglichst vieler
Personen. Es finden sich hohe Tendenzen zur Personalisierung – wichtig
ist die Person und weniger die Funktion – sowie die Tendenz zur
Abschottung beziehungsweise Verselbständigung einzelner Teile der
Organisation.
- Geteilte moralische Werte und Ideologien prägen oft die Kultur
der sozialen NPO’s. Die aufgeladene Kultur fördert das Engagement der
Mitarbeiter(innen). Es wird erwartet, die eigene Werthaltung der
Organisation anzupassen.
- Die inhaltlichen Ziele der Organisation haben in der Regel
höhere Bedeutung als in Wirtschaftorganisationen. Angesichts
dominierender Werte des Guten, des Helfenden und Sorgenden, werden
Interessen der Mitarbeiter(nnen) (nicht selten auch von diesen selbst)
nachrangig berücksichtigt. Burn out-Effekte treten in sozialen NPO’s
häufig auf.
- Die Widersprüche sind höher als in Profit-Organisationen. Beispiele dafür: Betreibt Aufklärungsarbeit, aber belastet die Öffentlichkeit nicht mit unangenehmen Themen.
Nichts davon ist neu an der Beschreibung von Non-Profit-Organisationen. Die Frage ist, wie Organisationsentwicklung in solchen Systemen möglich wird. Die Aufgabe der involvierten Führungsebenen, der formalen Hierarchien in so einem Prozess verlangt hohe Zuwendung, um die Widersprüche nicht auszuhalten, sondern bearbeitbar zu machen.
Aus meiner Sicht sind es drei Aspekte, die im Kontext von NEUSTART Aufmerksamkeit brauchen:
- Die angemessene Kommunikation auf aktuelle und in Zukunft zu
erwartende Problemkonstellationen. Die Breite des Verständnisses für
einzelne Schritte des Organisationsentwicklungs-Prozesses ist
entscheidend für die Qualität der nachfolgenden Bearbeitungsschritte.
Das geteilte Verständnis setzt Energien für Veränderungen frei. Die
Leitung benötigt dabei Sicherheit im Umgang mit Unsicherheit. In dieser
immer wiederkehrenden Phase geht es letztlich um Kontaktqualität
zwischen Leitung und Mitarbeiter(inne)n – konfrontieren, ohne
einzuschüchtern, Interessensunterschiede verdeutlichen,
Aushandlungsprozesse dort zu starten, wo ausgehandelt werden kann. Hier
ist eine Beziehung aufzubauen zu den möglichen Entwicklungen der
Organisation, die Leitung und Mitarbeiter(innen) gemeinsam erfassen
können.
- Ziel- und an Funktionen orientierte Zusammenarbeit verstärken, um Personen und Beziehungen zu entlasten.
Auch wenn sich Leitungen oft wünschen, dass die Mitarbeiter(innen) ihre ganze Persönlichkeit ins Unternehmen einbringen, es verführt zur Grenzüberschreitung. Organisationen können überhaupt nur funktional arbeiten, weil die eingestellten Mitarbeiter(innen) eben nicht das tun, was sie wollen und „sich ganz einbringen“, sondern sich an bestehenden Erwartungen orientieren. Die partielle Integration von Interessen der Mitarbeiter(innen) stellt sicher, dass es in Organisationen um die Koordination von Handlungen und Kommunikationen geht, und nicht primär um die ganze Persönlichkeit. Organisationen stehen in turbulenten finanziellen Zeiten vor der Aufgabe, dass Mitarbeiter(innen) bereit sind, ihre lokalen Interessen und teilweise Wünsche auszublenden, um die Aufgabe zu erfüllen.
- Die Autonomie der Mitarbeiter(innen) stärken.
Unter dem beschrieben finanziellen Druck, der NPO’s trifft, kann keine Organisation den Mitarbeiter(inne)n seriös garantieren, dass sie in fünf Jahren noch beschäftigt sind. Personalabbau kann ebenso wie Vergrößerung möglich sein. Daraus resultiert eine spezielle soziale Verantwortung für die Organisationen und ihre Entwicklung, nämlich, ihre Mitarbeiter(innen) autonom zu halten. Autonomie bezieht sich einerseits auf die Sicherstellung, dass Mitarbeiter(innen) im sozialen Bereich nicht so durch Zeitvorgaben und Einflussmöglichkeiten eingeschränkt werden, dass die Gestaltungsspielräume zu eng werden. Die Stärkung der Emanzipation der Klientel geht nur einher mit der Möglichkeit des Engagements und der Eigenständigkeit der Mitarbeiter(innen). Und: Autonomie bezieht sich auf die Möglichkeit, die Organisation verlassen zu können und - im schlechten Fall – zu müssen. Dazu ist sowohl die Möglichkeit einer breiten fachlichen Qualifikation (nicht nur „Eines“ zu können und dies in Karriereplänen, die nicht vertikal orientiert sind, er-leben zu dürfen), als auch die Möglichkeit, „soft-skills“ zu entwickeln, tragend. Autonomie der Mitarbeiter(innen) bedarf der Formulierung von persönlichen Zielen und Wünschen, unter Einbeziehung der Realität der Organisation und einer entsprechenden Antwort – dem Aufzeigen realer Wege, die diese Ziele möglich machen oder sie enttäuschen.
In diesem Sinn ändere ich den Titel des Artikels von „Organisationsentwicklung: Beziehung vor Inhalt?“ in „Organisationsentwicklung: Beziehung zu den Inhalten“.
Den gesamten Artikel können Sie hier downloaden:
Vom Vorurteil "Sozialromantik" zum "Brückenschlag" |04.11.2004|
Führungskräfte aus Wirtschaftsbetrieben wechseln für ein paar Tage in einen anderen Alltag. Unter dem Schlagwort „CSR (Corporate Social Responsibility) findet Erfahrungslernen statt; Führungskräfte aus Wirtschaftsbetrieben praktizieren in der „Sozialwirtschaft“ und lernen so einerseits, die Arbeit, die dort geleistet wird, zu schätzen. Auf der anderen Seite können sie daraus für das eigene Unternehmen Nutzen ziehen: Von Konflikten und Gewalt kann jede Organisation betroffen sein.
VOM VORURTEIL "SOZIALROMANTIK" ZUM „BRÜCKENSCHLAG“
Josef Köck, Leiter NEUSTART Vorarlberg
josef.koeck@neustart.at
„Brückenschlag“ zwischen For Profit-Wirtschaft und Sozialwirtschaft in
Vorarlberg. Führungskräfte aus Wirtschaftsbetrieben und
Sozialeinrichtungen wechseln für ein paar Tage in den jeweils anderen
Alltag; NEUSTART Vorarlberg ist mit dabei, wenn Grenzen und Chancen wirtschaftlichen Denkens kennen gelernt werden.
Erfahrungslernen besonderer Art: Ein Top Manager als Kurzeitmitarbeiter
in einer Notschlafstelle? Eine Personalchefin als Praktikantin bei NEUSTART
Außergerichtlicher Tatausgleich? Ein Diplomsozialarbeiter in der
Marketingabteilung eines Industriebetriebes? Früher undenkbar, durch
„Brückenschlag“ gelingt ein Näherrücken der unterschiedlichen Welten, so
die Idee des Büros für Zukunftsfragen der Landesregierung.
Was steckt hinter dieser Idee? Geht es um Marketing, wo sich
Wirtschaftbetriebe aus Prestigegründen sozial geben? Wozu sollte sich
ein Profit-Unternehmen auch um das Soziale kümmern? Ein guter Gag?
Oder: Chancen für Gesellschaft, Menschen, Firmen im Profit- und Non Profit-Bereich, zum Beispiel auch NEUSTART?
Am Montag, dem 14.6.2004 fand bei der Firma Omicron Elektronics GmbH
(die Weltmarktführerin in einem Bereich der Energietechnik ist) in Klaus
die Auftaktveranstaltung des heurigen Jahres zum Projekt
„Brückenschlag“, statt. Geladen waren neben NEUSTART
und anderen Sozialeinrichtungen Führungskräfte aus
Wirtschaftsbetrieben. Was vor zwei Jahren mit 15 Personen begann erfährt
einen kräftigen Schub – 30 Personen aus Profit- und Non
Profit-Betrieben waren anwesend. Nachdem letztes Jahr Manager aus der
For Profit-Wirtschaft in Einrichtungen der Sozialwirtschaft – unter
anderem zwei bei NEUSTART
- ein Praktika absolvierten, geht das Projekt in die nächste Runde, der
Austausch soll vertieft werden, Manager für Praktika gewonnen werden
und umgekehrt.
Selbstreflexion, Sensibilisierung für Soziale Probleme
„Die Erweiterung der Selbstreflexion, Sensibilisierung für Soziale Probleme, Abbau von Vorurteilen, Aufbau persönlicher Kontakte“ nennt Martina Battisti von der Fachhochschule Dornbirn als die wesentlichen Gewinne des “Brückenschlags“ für die Wirtschaft. Die Mitarbeiterin der Fachhochschule evaluiert das Projekt im Rahmen ihrer Dissertation.
Und wie wirkt „Brückenschlag“ ganz konkret in der Praxis? Über
persönliche Erfahrungen berichten Führungskräfte aus dem Top Management:
„Zu sehen, wie viel Gewalt es bei uns gibt, hat mich auf den Boden der
Realität geholt. Die Fülle und die Konsequenz der zu treffenden
Entscheidungen um und für Menschen hat mich überrascht und sehr
beeindruckt“, so Mag. Michaela Wagner. Die Geschäftsführerin der
Industriellenvereinigung Vorarlberg hat eine Woche im Frauenhaus
verbracht. Dipl. Ing. Christoph Hinteregger, Geschäftsführer der Firma
Doppelmayer in Wolfurt, einer weltweit tätigen (700 Mitarbeiter)
Organisation, praktizierte eine Woche in einer niederschwelligen
Drogeneinrichtung in Feldkirch: „Zuerst stand ich nur da, dann begann
ich Getränke auszuschenken, und nach drei Tagen kommunizierte ich mit
einem Klienten, der bisher mit niemanden sprach“ umreißt Hinteregger
sein Erfolgserlebnis. „Ich hatte Vorurteile, wollte es aber wissen, die
einzige Möglichkeit bestand also darin, mich einzulassen“, erzählt
Hinteregger seine Herangehensweise und schildert seine damit verbundene
Änderung der Einstellung: „Früher hätte ich die Tätigkeit in die
Kategorie Sozialromantiker eingestuft, die Wertschätzung der Arbeit im
Sozialbereich ist durch die neuen Erfahrungen gestiegen. Es wird
hochprofessionelle Arbeit geleistet“ lobt Christoph Hinteregger in
seinem Schlussplädoyer die Sozialarbeit. Und es gibt noch eine Reihe
anderer Erfahrungen im Rahmen von „Brückenschlag“. Die „Praktikantin“
vom Personalmanagement der Firma GIKO, Sabine Riedesser, nahm bei NEUSTART
beim Außergerichtlichen Tatausgleich teil und empfand die hohen
Spannungen, die ein Konfliktregler aushalten muss, bemerkenswert. Ein
Zusammentreffen zwischen Tatverdächtigen und Geschädigten erlebte sie
als sehr emotionsgeladen. Der Liechtensteiner Rechtsanwalt Dr. Hannes
Mähr, ebenso bei NEUSTART, lobte die unbürokratische Möglichkeit,
Konflikte zu lösen.
Diese Schilderungen erstaunen, denn dieser neue Zugang von Mitarbeitern
des Top-Management zeigt eine große Offenheit. Zum Einen gegenüber den
sozialen Problemen wie Kriminalität, Gewalt und Drogen, zum Anderen eine
Offenheit gegenüber den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen. Die
eigene Organisation kann auch betroffen sein.
Gemeinsamer Nenner: Breite Abstützung sozialer Verantwortung
Corporate Social Responsibility (CSR), so die Philosophie, die in
Firmenleitbilder zunehmend Eingang findet, präzisiert Projektleiter von
„Brückenschlag“ Unternehmensberater Mag. Armin Steger. Demnach sollen
Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftliche Verantwortung nicht
zueinander im Widerspruch stehen. Gesellschaftliches Engagement als Teil
der Strategie fördert langfristig den Unternehmenserfolg.
Diese Ansicht vertritt auch die europäische Kommission im Grünbuch.
Dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen
haben sich die Regierungen der EU zum ehrgeizigen strategischen Ziel
gesteckt. Europa als dynamischster Wirtschaftsraum der Welt? Gemeinsame
Bemühungen aller Akteure sollen CSR weiterentwickeln, um das möglich zu
machen. Auf lokale Ebene umgesetzt heißt das: Verantwortung gegenüber
der Gesellschaft, Sensibilisierung von Entscheidungsträgern auf die
Problematik sozial Schwächerer. Eine breitere Abstützung der sozialen
Verantwortung rückt jedenfalls verstärkt in den Blick.
Zentrale Wertschöpfungsquellen der For Profit-Wirtschaft: Zufriedene Mitarbeiterinnen, treue Kundinnen, zufriedene Partnerinnen
In den Worten des Büros für Zukunftsfragen der Landesregierung: „Eine vernetzte Zeit mit vernetzten Problemen und Herausforderungen braucht vernetzte Interessengruppen“. Denn: Die Wirtschaft im For Profit-Bereich kann sich nicht losgelöst vom Kontext entwickeln. Sie will sich weiter entwickeln und das geht nicht ohne sozialen Blick. Das ist zugleich die Chance: Motivierte Mitarbeiterinnen, treue Kundinnen, zufriedene Partnerinnen als zentrale zukünftige Wertschöpfungsquellen. Sie sind kaum durch bisher vermitteltes Fachwissen realisierbar, sie brauchen soziale und kommunikative Fähigkeiten. Und das Projekt „Brückenschlag“ vermittelt hierzu erste Einblicke in Themen wie den konstruktiven Umgang mit Konfliktsituationen. Projekt „Brückenschlag“ geht auf das von der schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft durchgeführte Projekt „Seitenwechsel“ zurück. Es wurde aber nicht kopiert, sondern auf Vorarlberger Verhältnisse angepasst, so Mag. Armin Steger. Vor „Seitenwechsel“ führte eine Gruppe von Sozialtätigen in Zürich unter Leitung der Sozialarbeiterin Monika Stocker ein Pilotprojekt im Rahmen der Aktion „Begegnung“ durch, aus dem dann „Seitenwechsel“ entstand, das seit Jahren erfolgreich verläuft.
Manager in der For Profit-Wirtschaft lernen die Grenzen wirtschaftlichen
Denkens kennen, und sozial Tätige erkennen die Chance wirtschaftlichen
Denkens.
Grenzen ausloten und den Blick weiten ist angesagt. In der Konsequenz
besteht die Aussicht auf eine neue Art der Beziehung und des Austausches
zwischeneinander. Die Chance für die Verwirklichung von alten Anliegen
der Sozialarbeit wird in der Gestaltung einer sozial verträglichen
Wirtschaft gesehen. Und darin, dass sie sich für den sorgsamen Umgang
mit Ressourcen einsetzt und sich für Problemlösungen in ihrem Lebensraum
verantwortlich fühlt. Und die Lösungskompetenz der Wirtschaft wäre ein
Gewinn.
Dem gegenüber steht die Chance nach mehr Wirtschaftlichkeit der
Sozialarbeit. Weniger bereitgestellte Ressourcen bringen Einrichtungen
unter Druck. Wirksamkeit und Effizienz sind die neuen Erwartungen, die
bei manchen Sozialarbeitern und Praktikern Krisenstimmung hervorruft.
Sie stellen Sozialeinrichtungen wie NEUSTART vor die Herausforderung, die Organisation umzubauen und Wege zu finden, sich trotz sinkender Ressourcen weiterzuentwickeln.
In der Arbeit mit Opfer und Täter das Soziale entwickeln
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von NEUSTART Vorarlberg bringen hohes Engagement und breites sozialarbeiterisches Wissen, gewonnen aus jahrelangen Erfahrungen in der Arbeit mit straffälligen Menschen und Geschädigten, mit. NEUSTART Vorarlberg wird die Möglichkeiten und Chancen von „Brückenschlag“ nützen, um sich selbst weiterzuentwickeln, sein Know-how Interessierten zugänglich zu machen; um größtmöglichen sozialen Nutzen zu stiften und weiterhin das tun, wozu die Einrichtung existiert und wobei sie sich profiliert hat: in der sozialen Arbeit mit Täter und Opfer das Soziale zu entwickeln. Um das auch künftig tun zu können, gilt es, mehr denn je die optimale Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten. Denn es geht um „Wirtschaften für den sozialen Profit“, um es in den Worten des Geschäftsführers von NEUSTART, Mag. Wolfgang Hermann, auszudrücken.
Dipl. Ing. Hinteregger: „Unvorstellbar, dass keiner von meinen 700 Mitarbeitern Drogenprobleme hat...“
Mag. Armin Steger: „Auch andere Bundesländer haben ihr Interesse an dem Projekt angemeldet...“
DSA Franz Hanich erklärt einem Lustenauer Unternehmer NEUSTART Konfliktregelung
Den gesamten Artikel können Sie hier downloaden:
Vom Vorurteil "Sozialromantik" zum "Brückenschlag" (PDF, 129 KB)
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