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Blog und Diskussion
Fußfessel als Goldketterl?
Mag. Bernhard Glaeser - 5.11.2014 09:24
Auslöser für die jüngste Präsenz der Fußfessel in den Medien war ein prominenter Fußfesselträger – Anlass zu Häme, überspitzt auf die Frage: Ist die Fußfessel der „Kuschelknast für Prominente“?
Die Fußfessel, also der elektronisch überwachte Hausarrest, ist eine sinnvolle Maßnahme zur Verhinderung unerwünschter sekundärer Haftauswirkungen. Ich finde es schade, dass die öffentliche Diskussion über einen spektakulären, prominenten Fall die große Zahl an Inhaftierten, für die diese Haftform tatsächlich eine wichtige Hilfestellung für ein Leben nach der Haft ist, in Misskredit bringt. Haft ist Freiheitseinschränkung. Die Fußfessel schränkt die Freiheit ebenso ein – ohne für die oder den Inhaftierten die Voraussetzungen für die Fortführung eines selbstverantwortlichen Lebens nach Verbüßung der Haftstrafe zu verringern.
Der elektronisch überwachte Hausarrest ist somit eine Vollzugsform, die ähnlichen Restriktionen unterliegt wie Inhaftierung selbst. Die Justizanstalt beauftragt NEUSTART mit einer ausführlichen Erhebung der persönlichen, beruflichen und sozialen Situation jeder in Frage kommenden Kandidatin und jedes Kandidaten und entscheidet dann, ob diese Vollzugsform genehmigt wird. Wichtige Voraussetzungen sind unter anderen eine geeignete Wohnung, eine aufrechte Beschäftigung, eine günstige Risikoprognose, die Zustimmung eventueller Mitbewohnerinnen und Mitbewohner und natürlich ein vorhandener Telefonanschluss, der die Standortbestimmung jederzeit ermöglicht.
Warum halten wir den elektronisch überwachten Hausarrest für sinnvoll und wichtig? In vielen Fällen beginnt die Strafe erst dann, wenn die eigentliche Strafe verbüßt ist: Arbeitsstelle, Wohnung und positive soziale Bezüge sind durch die Haft verloren gegangen. Die oder der Entlassene muss sich sein Leben neu aufbauen – unter ungünstigen Bedingungen. Das ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Eine Strafe ist zu verbüßen und sie soll enden, wenn die ausgesprochene Strafe verbüßt ist. Hier setzt der elektronisch überwachte Hausarrest an und ermöglicht durch diese Vollzugsform, dass die unerwünschten Neben- und Nachwirkungen der Strafe vermieden werden können. Elektronisch überwachter Hausarrest ist damit jene Vollzugsform, die am besten den Resozialisierungs- und Präventionsgedanken des Vollzugs verwirklicht. Das deliktfreie Leben in Freiheit kann mit all seinen Hürden und Herausforderungen gelernt, geübt und mit der Sozialarbeiterin oder dem Sozialarbeiter reflektiert werden.
Wird ein elektronisch überwachter Hausarrest durch die Justizanstalt genehmigt, erfolgt die Betreuung durch NEUSTART. Die technische Überwachung obliegt der Justizanstalt. Wöchentlich wird von NEUSTART ein minutiöses Aufenthaltsprofil – orientiert an Beschäftigungszeiten, Zeiten für Erledigungen und für sinnvolle und notwendige Aktivitäten – gemeinsam mit der oder dem Inhaftierten erstellt. Dieses wöchentliche Profil wird von der Justizanstalt bei Einverständnis genehmigt und programmiert. Jedem elektronisch gemeldeten Verstoß gegen den Wochenplan wird nachgegangen. Auch unangemeldete Alkoholkontrollen sind vorgesehen.
Die Sozialarbeiterin oder der Sozialarbeiter bei NEUSTART steht laufend in Kontakt mit der Fußfesselträgerin oder dem Fußfesselträger, wodurch ein enger Austausch über die aktuellen Themen in Zusammenhang mit der Straftat und der Lebensführung entsteht. Mit der Klientin oder dem Klienten wird im Rahmen der Deliktverarbeitung bei jedem Termin thematisiert, wie sie oder er straffällig werden konnte und vor allem: Wie sie oder er künftig nicht mehr straffällig wird. Die Lebenssituation wird bei der Erstellung des Wochenplans diskutiert, Risikofaktoren, aber auch positive Einflüsse werden so deutlich. Über 90 Prozent der Verurteilten konnten auf diese Weise ihre Haftzeit verbringen, ohne diese wichtigen Bezüge zu verlieren. Abbrüche erfolgten in den meisten Fällen wegen Regelverstößen (weil zum Beispiel der Wochenplan nicht eingehalten wurde).
Diese Maßnahme, die seit 1. September 2010 in Österreich 2.510 Mal in Anspruch genommen wurde, soll den Belag der Justizanstalten verringern. Immerhin sind seither konstant circa 250 Menschen, die zu Haft verurteilt wurden, durch die Fußfessel nicht in einem Gefängnis in Haft. 2013 konnten auf diese Weise knapp 85.000 stationäre Hafttage vermieden werden. Schon allein der Kostenfaktor wäre ein Argument, denn die Fußfessel hat die oder der Gefangene – soweit sie oder er dazu in der Lage ist – selbst zu zahlen. Die Haft müssen die Gefangenen nicht zahlen. Diese kommt bekanntlich wesentlich teurer.
Mag. Bernhard Glaeser ist Leiter des Zentralbereich Sozialarbeit bei NEUSTART
Zu diesem Beitrag gibt es |6 Kommentare|
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Kommentare zu diesem Beitrag:
Maria Pirker schrieb am 19.03.2015 09:55
Da die Qualitätsentwicklung und -sicherung des elektronisch überwachten Hausarrests zu meinen Aufgaben gehört, antworte ich Ihnen gerne. Ich verstehe Ihre Enttäuschung über die zweimalige Ablehnung des Antrags. Um Ihnen jedoch eine unterstützende Rückmeldung geben zu können braucht es genauere Informationen zur Situation ihres Lebensgefährten. Sollten Sie an einer solchen Rückmeldung Interesse haben, empfehle ich Ihnen, sich an unsere Online-Beratung zu wenden, wo unsere Kolleginnen und Kollegen sich gerne um Ihr Anliegen bemühen werden. Die E-Mail-Adresse unserer Online-Beratung lautet: beratung@neustart.at oder Sie können auch das Online-Formular auf der Website verwenden: http://www.neustart.at/at/de/rasche_hilfe/online_beratung.php
Doris Ruzizka schrieb am 18.03.2015 00:24
Mein Lebensgefährte befindet sich zur Zeit in der Justizanstalt Göllersdorf als Strafhäftling in Haft.Er wurde wegen Einbrüchen Verurteilt,befindet sich seit drei Monaten in Entlassungsvollzug und ist Freigänger. Er verläßt die Anstalt seit einem Jahr Monatlich und seit ein paar Wochen sogar zweimal im Monat für 48 Stunden ohne Überwachung,ohne Vorfälle und ohne in der ganzen Haftzeit eine Hausstrafe oder ähnliches bekommen zu haben.Er arbeitet in der Justizanstalt Göllersdorf und war auch noch nie im Krankenstand oder sonst irgendwie auffällig. Nun gab er im Dezember einen Antrag auf Fußfessel in der JA Simmeringer als Zielanstalt ab.Dieser wurde abgelehnt da,so wurde ihm mitgeteilt Göllersdorf keine Stellungnahme abgab.Am 12.2.2015 gab er neuerlich einen Antrag nunmehr in der JA Göllersdorf ab. Beiligend einen Kursplan für eine Beschäftigung von cirka 25 Stunden in der Woche.Auch gab ich ihm eine Unterstützungserklärung in welcher ich bestätigte damit ich meinen Lebensgefährten finanziell unterstütze und auch die Kosten für die Fortbildung über nehmen werde.
Dieser Antrag ist wie durch Geisterhand nicht in Simmering angekommen,erst nach massiven Druck wurde mit 13.3.2015 eine Kopie an Simmeringer gesendet.
Wie zu erwarten wurde dieser bereits nach zehn Stunden wieder abgelehnt,mit mir und anderen ebenso nicht zu erklärenden Begründungen, und zwar gab Simmeringer ohne zu prüfen an mein Lebensgefährte könne sich die Kurse nicht leisten ( meine Unterstützungserklärung wurde nicht einmal erwähnt )
Auch könnte man keine positive Risikoprognose abgeben.
Offensichtlich ist es einigen Personen lieber ein Häftling kümmert sich werdend seiner Haft um nichts, auch Fortbildungen und sonstiges sind nicht wirklich gefragt. Es ist auch lieber ein Häftling geht jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag ohne Fußfessel und ohne Überwachung nach Hause.Zumindest dürfte das in einigen Augen sicherer sein als nach Festen Vorgaben überwacht mit Fußfessel die eigene Wohnung zu verlassen.
Mein Lebensgefährte wird trotz allem in der kommenden Woche einen neuerlichen Antrag abgeben und hofft noch immer um Einsicht.
Mit freundlichen Grüßen
Doris Ruzizka
Andreas Zembaty schrieb am 06.11.2014 14:37
danke für Ihren Beitrag!
Als Pressesprecher möchte ich Ihnen auf kurzem Weg eine Antwort auf Ihre Frage geben.
Aus unserer Sicht wurde Herr Katnig nicht bevorzugt behandelt. Die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen für den elektronisch überwachten Hausarrest hat er erfüllt wie jeder andere.
Ausgänge sind grundsätzlich auch für jeden Strafgefangenen möglich wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt wurden. Über die Bewilligung für den Ausgang entscheidet die Leitung der Justizanstalt. Die Entscheidungspraxis ist im Bundesgebiet jedoch unterschiedlich.
NEUSTART begrüßt eine Diskussion zum elektronisch überwachten Hausarrest soweit sie sachlich geführt wird. Uns ist es dabei wichtig über diese Instrument zu informieren und damit eventuellen Irrtümer oder Vorurteilen zu begegnen.
Liebe Grüße
Andreas Zembaty
Simon Sommerhuber schrieb am 06.11.2014 12:45
Christian schrieb am 06.11.2014 11:41
Claudia Decker schrieb am 06.11.2014 10:20
vielen Dank für Ihren Beitrag.
Schade aber, dass Sie auf die Eingangsfrage Ihres Artikels, ob die Fußfessel der „Kuschelknast für Prominente“ ist, nicht näher eingegangen sind, denn ich denke, genau DAS ist der Vorwurf der Bevölkerung. Es stellen sich die Fragen: Wurde Herr Kartnig bevorzugt behandelt? Sind solche (langen) Ausgehzeiten im Rahmen des elektronisch überwachten Hausarrests legitim und möglich, und zwar für alle? Wie steht Neustart zum jüngsten Fall?
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
LG
Claudia Decker