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Blog und Diskussion
Wahnsinn und Strafen
Mag. Klaus Priechenfried - 29.10.2014 08:27
Personen mit schweren psychischen Erkrankungen haben mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen, die man sich denken kann. Bis heute ist die Entstehung dieser – im medizinischen Terminus als „Psychosen“ zusammengefassten Krankheiten – nicht gänzlich bekannt. Erkrankungen oder Veränderungen des Gehirns als Organ sind sicherlich beteiligt. Veränderungen des Stoffwechsels im Gehirn sind für die meisten solcher Erkrankungen bereits nachgewiesen. Vielfach wird eine zusätzliche Beteiligung von Einwirkungen der Umwelt, besonders in der Kindheit und Jugend, vielleicht aber auch im Erwachsenenalter, vermutet; das muss aber nicht der Fall sein.
Die meisten Psychosen bringen ein hohes Selbstmordrisiko mit sich. Beinahe alle beeinträchtigen das Berufs- und Familienleben erheblich. Bei manchen Personen wirkt sich die Erkrankung phasenweise so aus, dass sie bei bestimmten Auslösern aggressiv werden. Sie sind dann sehr auffällig, zum Beispiel, wenn sie unkontrolliert schimpfend durch die Straßen ziehen. Manche sind in diesen Phasen auch gefährlich für ihre Mitmenschen. Mit Medikamenten lassen sich die meisten schädlichen Folgen dieser Erkrankung gut unter Kontrolle halten. Die Erkrankung selbst wirkt aber gegen eine realistische Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung und der Medikamenteneinnahme. Es ist eine sehr unangenehme Folge der Psychose, dass die Menschen die Tatsache, dass sie krank sind, selbst nicht erfassen können und sich gegen die Einnahme von Medikamenten zur Wehr setzen. In diesen Fällen kann es zu starker sozialer Unverträglichkeit kommen. Diese Leute erleben ihre eigene seelische Verfassung als brüchig und schwach organisiert. Ihre emotionalen Zustände sind für sie übermächtig und gebieterisch. Sie können Gefühle nicht richtig benennen und – weil sie der Sprache nicht zugänglich sind – auch nicht richtig fassen und steuern. Ihre Emotionen bleiben ihnen selbst deshalb trotz ihrer Intensität unerklärlich, unbestimmt und vage. Sprechen ist in diesem Fall kein Versuch, sich verständlich zu machen, sondern vielmehr ein fortgesetztes Ausagieren ihrer Zustände. Manche erleben in solchen Phasen auch starke Halluzinationen, die sie weiter verwirren und unter Druck setzen. Es kommt dann zu Auseinandersetzungen mit ihrer Umwelt, vielleicht schlussendlich mit der Polizei (weil diese von anderen Leuten gerufen wurde), vielleicht aber auch mit Krankenhauspersonal, weil sie in die Psychiatrie gebracht wurden, um behandelt zu werden.
Solche Menschen – und es sind glücklicherweise nur wenige, die diese Problematik im Vollbild aufweisen – brauchen dringend Behandlung. Wenn diese einmal gelungen ist, brauchen sie jemand, der darauf schaut, dass sie in Behandlung bleiben beziehungsweise auch, ob die Behandlung weiterhin greift. Sonst dauert es nicht lange und es kommt zu weiteren stationären Aufenthalten, die dann meistens, wenn eine Straftat angezeigt wird, im sogenannten Maßnahmenvollzug kulminieren. In den Justizanstalten werden psychisch kranke Menschen (die eigentlich nicht schuldfähig sind) in eigenen Abteilungen angehalten. Dort warten sie dann auf langwierige Prozesse, bis über Gutachten und Gerichtsurteile wieder die Entlassung vorbereitet wird. Oft sitzen sie jahrelang bis jahrzehntelang in Justizanstalten, obwohl sie schuldunfähig waren. Dazu kommt, dass ein Opfer Schaden erlitten hat, für das die Frage, ob der Täter schuldfähig war oder nicht, wenig Rolle spielt.
Nachdem psychische Erkrankungen meist nicht plötzlich auftauchen, sondern lange bestehen, ehe ein Delikt passiert, müssen wir uns fragen, warum wir so lange zusehen, bis jemand geschädigt wird. Ohne Erkrankte über die Maßen zu entmündigen, sind doch sozial kontrollierte Situationen mit sozialpsychiatrischen Umgebungen denkbar, die verbindlich vereinbart werden. Diese können dafür sorgen, dass die große Mehrzahl der Fälle kein Gefahrenpotenzial für die Umwelt darstellt. Solche Initiativen müssten vom Gesundheitssystem ausgehen. Gegebenenfalls kann das Sozialsystem mit seinen Kompetenzen zur Seite stehen. Sich von „schwierigen Fällen“ von allen Seiten abzugrenzen (sei es mit Entlassung aus der Psychiatrie ohne Nachfolgeeinrichtung, mit Hausverboten in Wohnungsloseneinrichtungen oder mit Rausschmissen aus geschützten Arbeitsplätzen) ist nicht sinnvoll; weil dann zugewartet wird, bis etwas passiert, bis jemand Schaden nimmt. Und dann kommt der Maßnahmenvollzug zum Einsatz. Anstatt Sinnvolleres zu tun, warten wir zu, bis Schaden entsteht – und die Justizanstalt ist kein optimaler Ort zur Krankenbehandlung. Rechtzeitiger präventiver Einsatz wäre sinnvoller, besser und letztlich auch billiger.
Mag. Klaus Priechenfried ist Leiter von NEUSTART Wien 2
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Ela schrieb am 30.12.2014 12:15